Reformwilliger Musterstaat oder Fass ohne Boden?

Griechenland-Check

Zur Jahreswende war die Botschaft an die Öffentlichkeit klar: Das Schlimmste ist überstanden. Ab jetzt geht es aufwärts mit Griechenland. Die Regierung hat den von Gläubigern geforderten Willen gezeigt, das Land mit Reformen und Sparanstrengungen aus seiner tiefen Krise zu holen. Aber stimmt dieses von griechischen und europäischen Politikern gleichermaßen gezeichnete Bild überhaupt? Dieser Frage sind Experten des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW) in einer Studie nachgegangen.

Ergebnis: Die Realität sieht alles andere als rosig aus. Die Lage in Griechenland unterscheidet sich gravierend von dem in der Öffentlichkeit vermittelten positiven Bild. Die griechische Wirtschaft schrumpft weiter (2012: - 6,4%) und offenbart vor allem strukturelle Schwächen. Die Politik hat ihre Hausaufgaben immer noch nicht vollständig gemacht und verschleppt notwendige Reformen. Die Schuldenlast (2012: 160% des BIP) ist nach wie vor erdrückend. Die Massenarbeitslosigkeit wird mit einer Quote von rund 25% zu einem Dauerproblem, insbesondere die junge Generation hat keine Beschäftigungsperspektiven (2012: 55% Arbeitslose).

Über Jahrzehnte verschleppter Strukturwandel

Das Hauptproblem Griechenlands ist laut Studie der über Jahrzehnte verschleppte Strukturwandel. In der Vergangenheit wurde das Wirtschaftswachstum fast ausschließlich auf Pump, also durch billige Kredite, finanziert. Sie ermöglichten einen ausufernden staatlichen und privaten Konsum, den es aber so nicht mehr geben wird. In Rekordzeit muss nun der Strukturwandel nachgeholt werden, denn ohne ihn ist keine nachhaltige wirtschaftliche Erholung möglich.

Der Hintergrund: Mit den alten und schwachen Wirtschaftsstrukturen hat Griechenland keine Chance, um kurzfristig über den Export aus der Krise herauszuwachsen. Die Handelsbilanz ist aufgrund der Ausfuhr rohstoff- und arbeitsintensiver Güter wie Erdöl und mit Dienstleistungen im Niedrigeinkommensbereich entsprechend schwach. Das außenwirtschaftliche Ungleichgewicht, das kontinuierlich bei minus 13% liegt, ist einer der Hauptursachen für das langjährige Minus in der Leistungsbilanz.

Experten raten zu neuem Geschäftsmodell

Im EU-Vergleich der Exportintensitäten belegte Griechenland 2012 mit einem Anteil von 27 Prozent des Exports von Gütern und Dienstleistungen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) den letzten Platz. Daher empfehlen die IfW-Experten den Griechen langfristig ein neues Geschäftsmodell, das die Wachstumsflaute nachhaltig beenden und eine Erosion des griechischen Lebensstandards verhindern könnte. Für den Wechsel zu dem vorgeschlagenen „Exportmodell“ müssten jedoch zunächst in größerem Umfang wertschöpfungsstarke Industrie- und Dienstleistungsunternehmen entstehen.

Die größte Hypothek für eine grundlegende Umstrukturierung des Landes ist die erdrückende Schuldenlast, die im laufenden Jahr sogar noch wachsen soll – auf 170% des BIP. Aus eigener Kraft und ohne weitere Hilfen werden die Griechen es der IfW-Analyse zufolge nicht schaffen, aus der Schuldenfalle herauszukommen. Der erforderliche Primärüberschuss* im Staatshaushalt, den Gläubiger für das Erreichen einer tragfähigen Verschuldung voraussetzen, ist aufgrund der Wachstumsschwäche kaum erreichbar – trotz Schuldenschnitt und Schuldenrückkauf.

Fazit

Die Autoren der IfW-Studie raten den Gläubigern bei allen Fortschritten, den Druck auf die griechische Regierung uneingeschränkt aufrechtzuerhalten, damit die Reformen vollständig abgearbeitet werden. Allerdings werde die Überwindung der Strukturkrise in Griechenland durch zu hoch gesteckte Erwartungen eher erschwert. Es bleibt die Erkenntnis, dass die Umsetzung von Strukturreformen Zeit braucht, insbesondere wenn eine funktionstüchtige Staatsverwaltung erst aufgebaut werden muss.

Vor diesem Hintergrund befürworten die IfW-Experten zusätzliche Maßnahmen, um die Krisenbewältigung zu erleichtern und Griechenland wieder eine ökonomische Perspektive zu geben. Sie sehen es als sinnvoll an, in noch größerem Umfang als bisher in- und ausländische Spezialisten mit der Durchführung von Reformmaßnahmen zu betrauen, um die Geschwindigkeit und die Professionalität des Reformprozesses zu erhöhen.

Gleichzeitig ist laut IfW-Studie ein weiterer Schuldenschnitt notwendig, um eine für Griechenland tragfähige Verschuldung zu erreichen. Ein solcher Schuldenschnitt, der die Steuerzahler der Euroländer und die Europäische Zentralbank (EZB) direkt betreffen würde, müsste allerdings stark konditioniert sein. Die nationale Fiskalhoheit müsste für den Zeitraum der weiteren Konsolidierung eingeschränkt werden. Von einer Dauerrettung mit immer neuen Hilfspaketen wird hingegen abgeraten, da hier ein unbezahlbarer Transfermechanismus droht, der auch für andere Krisenländer attraktiv wäre.

*) Der Primärsaldo ist die Differenz zwischen Primäreinnahmen und -ausgaben. Die Primärausgaben ergeben sich, indem von den bereinigten Ausgaben die Zinsausgaben abgesetzt werden. Damit werden die so genannten Kernausgaben eines Landes beschrieben, die den Personal-, Sach- und Investitionsaufwand abbilden. Sie stellen die gesamten öffentlichen Aktivitäten ohne die vergangenheitsbezogenen Aufwendungen für Zinsen als Folge früher aufgenommener Kredite dar. Die Primäreinnahmen errechnen sich aus den bereinigten Einnahmen, das sind die gesamten Einnahmen ohne die besonderen Finanzierungsvorgänge wie Schuldenaufnahme am Kreditmarkt oder Entnahme aus Rücklagen, abzüglich der Erlöse aus der Veräußerung von Vermögen. Die so berechneten Primäreinnahmen spiegeln somit die Einnahmen wider, die dem Land regelmäßig zur Verfügung stehen. Einmaleffekte wie Erlöse aus Vermögensveräußerungen bleiben unberücksichtigt. Bei positiver Differenz zwischen Primäreinnahmen und -ausgaben spricht man von einem Primärüberschuss, im umgekehrten Fall von einem Primärdefizit. Ein Primärüberschuss bedeutet, dass die Einnahmen ausreichen, um die Kernausgaben und darüber hinaus noch einen Teil der Zinsausgaben zu finanzieren. Ein Primärdefizit dagegen weist darauf hin, dass die Einnahmen nicht ausreichen, um die Kernausgaben zu finanzieren.

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