Digitalisierung? Automatisierung? Vorsicht vor Viren im Kopf!
Interview mit Harry Gatterer, Geschäftsführer der Zukunftsinstitut GmbH

Wirtschaftsforum: Herr Gatterer, mit Future Room laden Sie Unternehmen ein, ihre Zukunft zu entdecken. Was hat der Future Room einer Kristallkugel voraus?
Harry Gatterer: Der Future Room ist vor allem ein methodischer Zugang. Es ist ein sehr klarer, strukturierter Weg für Unternehmen, sich mit Zukunftsfragen zu beschäftigen und vorhandene Zukunftspotenziale zu identifizieren. Im Gegensatz dazu wird die besagte Kristallkugel immer aus einer ominösen Quelle gespeist, die scheinbar eine Vorhersage ermöglicht. Uns geht es dagegen nicht um Mystik, sondern Methodik! Unternehmen sollen sich bewusst mit der eigenen Zukunft auseinandersetzen. Was macht das Thema mit dem einzelnen Mitarbeiter, was mit dem Team? Wie gehe ich als Unternehmen damit um? Häufig wird in Unternehmen der Blick auf die eigenen Zukunftspotenziale blockiert. Der Future Room / Die Future-Room-Methode hilft dabei, diese Blockade aufzuheben und einen klaren Blick zu gewinnen.

„Mit der Zukunft verbinden viele Menschen aktuell leider eine gewisse Hoffnungslosigkeit. Egal, ob wir das geopolitisch, gesellschaftlich oder ökonomisch betrachten.“ Harry Gatterer
Wirtschaftsforum: Sie erörtern zu Beginn des Buches, dass mit dem Thema Zukunft oft ein Unbehagen einhergeht. Ist die Zukunft bedrohlicher als die Vergangenheit?
Harry Gatterer: Mit der Zukunft verbinden viele Menschen aktuell leider eine gewisse Hoffnungslosigkeit. Egal, ob wir das geopolitisch, gesellschaftlich oder ökonomisch betrachten. Damit geht eine gewisse Vermeidungshaltung gegenüber künftigen Entwicklungen einher. Nehmen Sie als Beispiel die Diskussion, inwiefern Roboter Menschen den Arbeitsplatz streitig machen könnten. In Konsequenz wenden wir uns durch dieses Verhalten von der Zukunft ab und der Vergangenheit zu. Frei nach dem Motto: Früher war alles besser! Das ist auch bis zu einem gewissen Grad in der Wirtschaft festzustellen. Wobei es hier durch neue Technologien immer ein Zukunftsversprechen gibt. Niemand lebt wirklich in der Vergangenheit und dementsprechend ist es nur klug, sich mit der Zukunft auseinanderzusetzen.
Wirtschaftsforum: Digitalisierung oder Automatisierung bezeichnen Sie als „Viren im Kopf“, die es zu vermeiden gilt. Worauf begründen Sie Ihre Haltung?
Harry Gatterer: Das begründe ich aus meiner Erfahrung heraus. In der Arbeit mit Unternehmen ist mir einfach klar geworden, dass mit Begriffen wie Digitalisierung oft wild um sich geworfen wird. Sie werden aber nicht ihrem Wesen nach reflektiert und es wird auch nicht überlegt, was Digitalisierung konkret für das jeweilige Unternehmen bedeutet. Wenn wir in der Medizin eine Diagnose formulieren müssten, wäre das Agitation, also krankhafte Unruhe. Ausgelöst wird diese durch die genannten Schlagwörter, die uns in diesem Sinne eben wie Viren komplett in Beschlag nehmen. Ich habe das selbst erlebt, als ich mit dem CEO eines großen Konzerns zusammenarbeiten durfte. Ich bat ihn für ein paar Wochen den Begriff Digitalisierung nicht zu verwenden. Stattdessen sollte er in der konkreten Situation genau das sagen, was er eigentlich damit ausdrücken wollte. Wir verwenden diese Schlagwörter als Platzhalter für das, was uns dahinter wichtig ist – also Digitalisierung steht für Rationalisierung, Kundenservice et cetera. Das hat der CEO gemacht und war erstaunt, wie sich sein Denken verändert hat. Er hatte gelernt, präzise hinzuschauen und zu formulieren.

„In der Arbeit mit Unternehmen ist mir einfach klar geworden, dass mit Begriffen wie Digitalisierung oft wild um sich geworfen wird.“ Harry Gatterer
Wirtschaftsforum: Das Buch ist stark auf die Praxis ausgelegt. Die Aufmachung mit vielen Checklisten ermutigt zum Mitmachen und Benutzen. Future Room scheint mehr Multi-Tool als klassisches Printmedium zu sein. Teilen Sie diese Einschätzung?
Harry Gatterer: Auf jeden Fall. Das Buch ist im Grunde einfach eine Form unserer methodischen Idee, die natürlich von der Anwendung lebt. Wir wollten wirklich alles daransetzen, dass sich die Leute auch mal mit dem Buch beschäftigen und sagen: Okay, dann nehme ich mal einen Stift zur Hand. In diesem Moment nutzen sie nicht nur ein Buch anders, sondern formulieren gleichzeitig ihre Gedanken neu und das wollten wir bewusst erreichen. Zumal das Ganze ja nicht als Buch entstanden ist, sondern aus der Erfahrung von sieben Jahren Praxis in der Arbeit mit Unternehmen heraus. Dieses „Multi-Tool-hafte“ führt zu dem gewünschten Input und löst eine Reaktion aus.
Wirtschaftsforum: Sie haben das Buch in die drei Phasen Ready, Set, Go! eingeteilt. In welcher der drei befindet sich die deutsche Wirtschaft in Sachen Zukunftsfähigkeit?
Harry Gatterer: Die deutsche Wirtschaft lebt natürlich ganz stark vom Mittelstand und der hat im Moment einen gewaltigen Vorteil: Die Firmen sind unheimlich gut etabliert. Man merkt ja – der Wirtschaft geht es im Grunde gut. Wir haben hier eine „Go-Phase“. Das führt gleichzeitig dazu, dass die Unternehmen sich noch nicht so sehr auf eine neue Zukunft vorbereiten. Wenn wir genau hinschauen, ist das nämlich die „Go-Phase“ der Vorperiode, die gerade ausläuft. Blicken wir auf die aktuelle Periode, sprich Zukunft, sind wir noch nicht einmal ganz bei „Ready“. Das ist interessanterweise in der DACH-Region so. Dort leben wir von den KMUs und dem Mittelstand, natürlich auch von der Industrie. Bei vielen Unternehmen ist jetzt eine Phase der Neuerfindung in Gange. „Ready“ im Kontext unseres Buches bedeutet, dass man sich grundsätzlich darauf einlässt, sich intensiv mit Zukunft zu beschäftigen. Da sind wir meines Erachtens noch nicht bei 100%. Man kann sagen, die Wirtschaft sitzt gerade zwischen den Stühlen.

„Es ist wirklich wichtig, sich für einen Moment aus diesem Agieren, diesem Managen zu lösen und sich zurückzulehnen.“ Harry Gatterer
Wirtschaftsforum: Der Future Room ist ein gedankliches Konstrukt. Wenn Sie ihn in die Realität holen müssten, mit welchem Möbelstück würden Sie ihn unbedingt ausstatten?
Harry Gatterer: Ich glaube, es ist tatsächlich ein sehr bequemer Stuhl. Und zwar deswegen, weil es in der Methode darum geht, in eine Beobachterrolle zu schlüpfen. Es ist wirklich wichtig, sich für einen Moment aus diesem Agieren, diesem Managen zu lösen und sich zurückzulehnen. Erst dann kann ich sagen: Gut, ich beobachte jetzt auf eine kluge, methodisch gestützte Art und Weise mein Umfeld, um zu lernen, was die nächsten Schritte für das Unternehmen und mich sind. Die Qualität des Beobachtens ist eine ganz entscheidende. Das kann man aus dem Alltagsgeschäft heraus nicht tun. Dazu brauchen Sie nicht viel, aber ein wenig Zeit. Die nehme ich mir am liebsten dann, wenn ich einen komfortablen Stuhl habe.
Interview: Markus Büssecker