Digitale Schaumschläger bringen lediglich viele Buzzwords, aber wenig Ideen
Interview mit Dr. Jens-Uwe Meyer

Wirtschaftsforum: Herr Dr. Meyer, Sie schreiben in der Einleitung über einen digitalen Riss, der quer durch Gesellschaft und Wirtschaft geht. Mit welcher Art von tektonischer Verschiebung haben wir es hier genau zu tun?
Jens-Uwe Meyer: Wir leben aktuell in zwei Parallelgesellschaften. Einer digitalen und einer analogen. Das merken Sie, wenn Sie mit Ihrem Smartphone an einer Hotelrezeption stehen. Sie haben in der digitalen Welt gebucht, sind aber jetzt im Herzen eines digitalen Dinosauriers. Weil das Hotel noch komplett analog arbeitet, wurde die Reservierung per Fax übermittelt, die Daten werden an der Rezeption manuell ins System des Hotels übertragen.
Am nächsten Morgen stehen Sie Schlange an der Rezeption, weil Sie dummerweise ein Mineralwasser aus der Minibar genommen haben und das mühsam abgerechnet werden muss. In Zukunft werden Sie von der Hotelbuchung übers Einchecken und der Öffnung der Tür über die Abrechnung der Minibar bis hin zum Beleg alles digital managen. Aber wir sind in einer Übergangsphase, die viel länger dauert als sich das die meisten Experten vor 10 Jahren gedacht haben.

„Ich empfehle Unternehmen: Drauf achten, dass die Webseite nicht nur bunt ist, sondern dass Besucher ihre Mailadressen hinterlassen.“ Jens-Uwe Meyer
Wirtschaftsforum: Sie verstehen Ihr Buch als eine Anleitung zur Digitalisierung. Dazu gibt es sogar eine kostenfreie Software, die als Werkzeug dienen soll. Inwiefern ist Ihre Publikation ein gelungenes Beispiel für den digitalen Umbruch in den Printmedien?
Jens-Uwe Meyer: Printmedien gehören zu den digitalen Dinosauriern. Aber nicht, weil Bücher weiterhin gedruckt werden (meines ist ja unter anderem auch in klassischer Papierform erschienen), sondern weil Printmedien Anwendungsfälle der Information häufig nicht zu Ende denken. Ein Buch gibt einem häufig fundiertes Wissen und setzt eine intensive Auseinandersetzung von Leser*innen mit einer bestimmten Materie voraus. Das hat einen Vorteil.
Nur leben die Leser*innen von Printmedien nicht in einer isolierten Welt. Sie sind bei LinkedIn, sie hören Podcasts, sie schauen YouTube, sie nutzen Online-Software. Mit meinem Buch gehe ich bewusst einen Schritt weiter als die klassische Welt der Printmedien: Das Buch gibt Anregungen, die Software hilft bei der Umsetzung.
Wirtschaftsforum: Sie warnen ausdrücklich vor digitalen Schaumschlägern in der Unternehmensberatung. Woran kann ich einen solchen direkt erkennen?
Jens-Uwe Meyer: Viele Buzzwords, wenig Ideen. Digitale Schaumschläger machen unfassbar viel Wind um die einfachsten Dinge. Ich empfehle Unternehmen: Drauf achten, dass die Webseite nicht nur bunt ist, sondern dass Besucher ihre Mailadressen hinterlassen. Das braucht Phantasie, das braucht Ideen.
Geben Sie einmal den Suchbegriff „Innovation“ bei Google Deutschland ein. Da finden Sie mein Unternehmen Innolytics sehr weit oben. Sobald Sie auf der Webseite sind, finden Sie einen Live Chat, ein Newsletter-Angebot und kostenlose Studien zum Download. Das ist aus meiner Sicht ganz normaler Menschenverstand. Schaumschläger werfen zwar mit Begriffen wie Inbound Marketing, Conversion und Customer Journey um sich, aber haben überhaupt keine Ideen, wie man es wirklich umsetzt.
„Die Debatte um die Zukunft der Arbeit ist häufig durch Angst geprägt. Viele verhalten sich wie das Kaninchen vor der Schlange.“ Jens-Uwe Meyer

Wirtschaftsforum: In dem Kapitel "Die digitale Zukunft Ihres Jobs" wenden Sie sich an Arbeitnehmer und die Frage, welche Jobs künftig wegdigitalisiert werden. Stellen sich denn schon alle Menschen diese Frage?
Jens-Uwe Meyer: Aus meiner Sicht viel zu wenige. Die Debatte um die Zukunft der Arbeit ist häufig durch Angst geprägt. Viele verhalten sich wie das Kaninchen vor der Schlange. Und hoffen, dass es sie nicht so schnell trifft. Diese Haltung ist totaler Unsinn! Ich möchte, dass gerade Arbeitnehmer*innen positiv mit dem Wandel umgehen.
Arbeitsplätze werden zwar rechnerisch, aber nicht faktisch unbedingt wegfallen. Dagegen sprechen bereits Entwicklungen wie der Fachkräftemangel und die Demografie. Jetzt mal im Ernst: Würden Sie den Arbeitsplatz einer Sachbearbeiterin in der Versicherung abbauen, wenn sich die Arbeitnehmerin aktiv für den digitalen Wandel einsetzt und sich sogar Grundkenntnisse im Programmieren von Chatbots angeeignet hat? Sie wären als Arbeitgeber verrückt, auf so eine wertvolle Arbeitskraft zu verzichten. Den Wandel mitzutragen, da möchte ich Mut machen!
Wirtschaftsforum: Der Buchtitel ist Programm, es geht um digitale Gewinner, also um positiv besetzte Ausführungen. Der öffentliche Diskurs allerdings wird meist negativ geführt. Tappen wir Deutsche wieder einmal in die "German Angst - Falle"?
Jens-Uwe Meyer: Ja. Und zwar Vollgas voraus. Ich erlebe in der Praxis Digitalisierungsprojekte, deren Start sich um Monate verzögert und die nur in kleinen Mäuschenschritten vorankommen. Weil immer wieder Bedenken kommen. Und weil nur wenige den Mut haben, Entscheidungen zu fällen, um Projekte wirklich voranzutreiben. Es werden Arbeitskreise gebildet, technologische Machbarkeitsanalysen gestartet und rechtliche Gutachten in Auftrag gegeben – alles, damit bloß kein Fehler geschieht. Genau das blockiert dann Projekte. Und rückwirkend fragt man sich: Warum eigentlich ist in den letzten Jahren so wenig passiert. Genau deshalb.
Interview: Markus Büssecker | Fotos: Dr. Jens-Uwe Meyer