Zustandsbericht: Wie steht es um die deutschen Wälder?

Forstwirtschaft

Laut Aussagen des Dresdner Universitätsprofessors für Waldschutz Michael Müller befinden sich deutsche Wälder derzeit in ihrem schlimmsten Zustand seit 200 Jahren. Schuld daran ist eine komplexe Kombination verschiedener Faktoren. Von diesen sind viele hausgemacht und auf einen unverantwortlichen Umgang mit dem heimischen Forstbestand in den letzten Jahrzehnten zurück zu führen. Dementsprechend ist zur Rettung der Wälder ein tiefgreifendes Umdenken erforderlich. Vor allem die Forstwirtschaft steht in der Pflicht, ihr bisheriges Vorgehen zu optimieren. Denn Waldbewirtschaftung ohne Waldschutz wird künftig kaum mehr möglich sein.

Brennpunkt Waldklima

Die letzten Jahre waren für heimische Wälder unglaublich strapaziöse Zeiten. Wer noch immer nicht an den Klimawandel glaubt, sollte sich dringend mit Förstern und Waldbesitzern unterhalten. Die spüren die Klimakrise nämlich mit am stärksten. Trocken war es, heiß und stickig. Das Waldklima der vergangenen Sommermonate glich dem eines Treibhauses. Ganz und gar nicht normal, denn Wälder sind normalerweise eher kühl und feucht, selbst im Sommer. Die grünen Wipfel spenden üblicher Weise Schatten und schützen vor Austrocknung. Doch Extremtemperaturen und extreme Wetterlagen werden für den Wald mehr und mehr zur Belastungsprobe. 

  • extreme Unwetter entwurzeln und knicken mehr und mehr Baumstämme
  • Hitzewellen trocknen den Waldboden aus
  • Dürre begünstigt Waldbrände
  • Wassermangel lässt die Bäume absterben
  • Vermehrung gefährlicher Schadbilder

Der Wald ist im Stress. Dies zieht sich von den Baumwipfeln bis tief unter die Erde. Hier befindet sich das weitverästelte, komplexe und lebenswichtige System der Wurzeln. Diese müssen aufgrund der Dürren stärker wachsen als normalerweise, um irgendwie noch wasserführende Schichten zu erreichen. Gleichsam jedoch haben sie just dafür oft zu wenig Wachstumsraum, stecken in Böden mit suboptimalen pH-Werten und teils toxischen Inhaltsstoffen.

Und wenn ein Baum derart „von unten beginnend“ erkrankt, wird die gesamte Pflanze rasch in Mitleidenschaft gezogen, wird anfällig für zahlreiche weiterführenden Schadensbilder. Ein Schadbild, das Waldökologen dabei besonderes Kopfzerbrechen bereitet, ist der Borkenkäfer. Er dringt mit Vorliebe in geschwächte Nadelbäume wie die Fichte ein und vernichtet sie von innen heraus. Gemeinsam mit Dürreschäden entstanden so zwischen 2018 und 2020 an die 160 Millionen Kubikmeter Schadholz, das im Rahmen von Notfällungen aus dem Wald geschlagen werden musste. Der Verlust beläuft sich auf rund 245 Hektar Waldfläche. Waldfläche die nur durch mühevolle und vor allem zeitintensive Aufforstung wiederhergestellt werden kann.

Besagte Aufforstung besteht nach Meinung vieler Experten aus deutlich weniger Waldbewirtschaftung und viel mehr passiver Waldentwicklung. Das fängt schon beim Totholz speichert als thermische Masse Hitze und Wasser ein, und ist somit in hohem Maße an der Klimaentwicklung im Wald beteiligt. Außerdem sorgt totes Holz nach seiner Verrottung für kühlende sowie nährstoffreiche Humusschichten auf dem Waldboden, was das Wachstum von Waldpflanzen verbessert. Um das Waldklima zu retten, müsste die Forstwirtschaft in Zukunft also auf weniger invasive Waldeingriffe setzen. Hier zeichnet sich leider wie so oft ein Interessenkonflikt zwischen Umweltschutz und Wirtschaft ab. Denn der angestrebte Ertrag der Forstwirtschaft steht in vielen Punkten gegen die Lösungsansätze, die aus ökologischer Sicht zur Waldrettung notwendig wären.

Problemzone Industriewald

Es ist kein Geheimnis, dass der Raubbau des Menschen insbesondere auch den natürlichen Waldbeständen stark zusetzt. Gerne angeführt wird in diesem Zusammenhang die Trockenlegung von Moorlandschaften zugunsten der Landerschließung. Tatsächlich sind Moore und Sümpfe als Feuchtgebiete unglaublich wichtige Naturräume, in denen viele seltene Pflanzen- und Tierarten Zuflucht finden. Häufig liegen sie im Herzen größerer Waldstücke, wo der fruchtbare Moorboden als Wasser- und Nährstoffspeicher dient. Moore trocken zu legen, um die Fläche wirtschaftlich zu nutzen, ist der Gesundheit des Waldes demnach nicht gerade zuträglich.

Ähnlich problematisch für die Waldgesundheit ist der Anbau von Monokulturen. Er hat in den letzten 100 Jahren tiefe Spuren im grünen Antlitz des Waldes hinterlassen. Für die Forstwirtschaft von besonderem Interesse waren in der Vergangenheit vor allem Koniferen wie Tannen, Kiefern und Fichten. Die Nadelbäume zeichnen sich durch ihre sehr schlanken und aufrecht wachsenden Baumstämme aus, was für die Holzverarbeitung, etwa zur Herstellung von Holzbalken oder Möbelstücken, von großem Vorteil ist. Außerdem wachsen Nadelgehölze im Vergleich zu Laubbäumen oft schneller, wodurch die Kultur der Bäume besonders lukrativ wird.

Für den deutschen Waldbestand jedoch ist diese Art der Monokultur mehr als schädlich. Einerseits begünstigen sie Schadbilder wie den Borkenkäfer, der gerade in einseitigen Fichtenkulturen gefährlich um sich greift. Andererseits schaden Monokulturen auch dem Waldboden. Der dichte Nadelbelag, der in Koniferen Kulturen den Boden bedeckt, macht betroffene Waldstandorte sauer. Auch laugen die Monokulturen den Waldboden massiv aus, denn sie brauchen die immer gleichen Nährstoffe. Zudem stehen die Bäume in Monokulturen oft zu dicht beieinander. Es werden auf verhältnismäßig kleiner Fläche also viel zu viele Nutzbäume kultiviert, was den Boden weiter strapaziert.

Ein Mangel an Vielfalt

Nun gibt es zwar auch in Deutschland natürliche Nadelwälder, diese stehen jedoch meist auf stark mineralhaltigen Böden, wie es etwa im Erzgebirge der Fall ist. Die in Mitteleuropa und somit auch in Deutschland vorherrschende Waldart ist dagegen der sogenannte temperierte Forst. Er besteht in erster Linie aus Laub- und Laubmischwäldern, die im Vergleich zu Nadelwäldern eine deutlich höhere Biodiversität aufweist. Soll heißen: In Laubwäldern und von Laubbäumen dominierten Mischwäldern herrscht besondere Tier- und Pflanzenvielfalt. Auch dafür sind die bereits angesprochenen Wurzeln ein Faktor: 

  • Flachwurzler 
  • Pfahlwurzler
  • Herzwurzler

existieren zwischen den unterschiedlichen Baumsorten. Durch ihr diverses Wachstum durchdringen sie verschiedenste Schichten des Waldbodens, lockern ihn auch auf. Das sorgt dafür, dass sich auch Nährstoffe und Wasser in dem lockeren, durchlässigen Boden leichter verteilen können. Das wiederum kommt nicht nur Waldbäumen, sondern auch anderen Waldpflanzen wie Sträuchern, Blumen, Moosen oder Farnen zugute. Sie stellen eine wichtige Nahrungsquelle sowie Nistmöglichkeiten für Waldtiere dar, wovon die Artenvielfalt im Laub- und Laubmischwald abermals profitiert. Leider sind besagte Wälder in den letzten Jahrzehnten vermehrt der Monokultur gewichen. Forstwirtschaft zielt heutzutage immer öfter darauf ab, den Bestand an Laubbäumen wieder vergrößern.

Klimaziel: Aufforstung

Dass Regenwälder die grüne Lunge der Erde sind, liegt maßgeblich daran, dass Laubbäume und Laubsträucher hier die dominante Gehölzform bilden. Blätter binden CO² deutlich besser als Baumnadeln und produzieren gleichzeitig auch mehr Sauerstoff. Als Maßnahme gegen die Klimakrise ist die Wiederherstellung der Laub lastigen Waldbestände also ein wichtiges Thema. Das nicht nur, um die CO²-Bilanz zu regulieren, sondern auch um den Waldschaden durch extremes Klima zu reduzieren. Laubmischwälder sind erfahrungsgemäß klimaresistenter. Vor allem Laubbäume wie

  • Ahorn
  • Eiche
  • Kastanie
  • Wildkirsche

erwiesen sich bislang sehr robust gegen Extremhitze. In Anbetracht immer heißer werdender Sommer könnte der Wald der Zukunft also eine gute Portion dieser Bäume gebrauchen. Dies am besten in Kombination mit robusten Baumsorten aus südlichen Breitengraden, die mit heißem Klima besser zurechtkommen und sich harmonisch ins bestehende Ökosystem einpflegen lassen. Eine Spezialmission für die Wissenschaft, die derzeit bereits fieberhaft nach sogenannten Plus-Bäumen mit hoher Klimaresistenz forschen. Der Waldumbau hin zu einer größeren Widerstandsfähigkeit des Forstbestandes ist nämlich schon voll im Gange und vielversprechende Konzepte zum deutschen Wald 2.0. gibt es bereits.

Ergänzend zu einer Neuverteilung von Baumarten braucht es aber auch neue Nutzungskonzepte für den Wald. Um deutsche Urwälder wiederherzustellen, benötigen Bäume eine längere Wachstumszeit. Es muss mehr nachwachsen als abgeholzt wird. Projekte zu mehr Nachhaltigkeit in der Forstwirtschaft sind gefragt. Und vielleicht auch zu neuen Möglichkeiten der Forstnutzung. Ziel sollte hier langfristig auf jeden Fall der sogenannte Hoch- oder Hallenwald sein. Darunter versteht man Wälder, in denen Bäume eine Höhe von mindestens 25 Metern erreichen. Forstwirtschaftliche Abholzung müsste zu diesem Zweck vermehrt der Schaffung in sich geschlossener Wälder weichen und die Forstwirtschaft sich möglicher Weise mehr hin zur Forstwissenschaft wandeln. In einer Volkswirtschaft, die gerade ohnehin einen intensiven Wandel der Berufsbilder erfährt, wäre das nichts Ungewöhnliches. Das nötige Fachwissen wäre bei Förstern und Forstbetrieben jedenfalls vorhanden. Die Zukunft deutscher Wälder hängt somit letztendlich vom Willen zur Veränderung ab.

 

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