Stecken wir schon bald in einer Immobilienkrise?

Herr Wagner, was sagen Sie denn generell zu den aktuellen Debatten? Welche Entwicklungen können Sie in den letzten Jahren sehen?

„In den letzten zehn Jahren hat es bei Wohnimmobilien in den Metropolen - mit Ausnahme strukturell schwacher Regionen - eine kontinuierliche Wertsteigerung gegeben.
Aufgrund der Tatsache, dass diese Entwicklung sehr lange anhielt, gab es dabei immer wieder die Frage, ob wir in Deutschland bei Preisen für Wohnimmobilien eine Immobilienblase haben, die bald implodieren könnte. Das wurde von verschiedenen Experten bislang mehrheitlich verneint. Aufgrund der aktuellen Corona-Ausnahmesituation steigt die Anzahl derjenigen, die jetzt einen schnellen und starken Verfall der Wohnimmobilienpreise vorhersagen. Viele „Experten“ sehen den schon immer von ihnen prophezeiten Zusammenbruch des Wohnimmobilienmarktes jetzt unweigerlich auf Deutschland zukommen.“

Das bestätigen ja auch aktuelle Studien...

„Die Debatte um eine drohende Immobilienblase, die bald platzen wird, wurde aktuell wieder von Empirica in ihrem im Anfang August 2020 erschienenen „Blasenindex“ aufgegriffen. Im Ergebnis indiziert der Empirica-Blasenindex für 306 Kreise eine mäßige bis hohe Blasengefahr. Im Vorquartal waren es 301, vor drei Jahren 200 Kreise.
www.empirica-institut.de

Nach Ansicht von LBBW Research wiederum deutet wenig auf eine spekulative Preisblase hin, die mittelfristig zu platzen droht. LBBW Research hat verschiedene Institute und ihre Ergebnisse ausgewertet. Fazit: Trotz insgesamt gestiegener Überbewertung von Immobilienpreisen ist das nicht als alarmierend hoch einzustufen.“
Deutsche Wohnimmobilien | Preisblase oder angemessene Bewertung?

Was halten Sie denn von der angeblichen Immobilienblase?

Tja, was sage ich zu einer angeblichen Immobilienblase? Ich halte in diesem Zusammenhang nichts von Bauchgefühl und Kaffeesatz-Leserei. Für mich zählen Fakten. Und Fakt ist: Der private Immobilienmarkt liegt nicht am Boden – und wird das auch nicht so schnell tun. Das Gegenteil ist eher der Fall: Corona bewirkt, dass den „eigenen vier Wänden“ eine besondere, steigende Bedeutung zufällt.

Wie kommen Sie zu dieser Erkenntnis?

Über unsere Plattform HAUSGOLD unterstützen wir täglich zahlreiche Immobilieneigentümer beim erfolgreichen Verkauf ihrer Immobilie. Wir stehen dafür laufend in Kontakt zu hunderttausenden Verkäufern und Käufern sowie zu über dreitausend deutschen Maklern.
Diese maßgeblichen Marktteilnehmer berichten darüber, dass weiterhin (virtuelle) Besichtigungen, Finanzierungs-Verhandlungen, Notartermine und damit Transaktionen stattfinden. Nach einem kurzen Moment der Schockstarre sind die Suchanfragen von Käufern gerade wieder angezogen und steuern auf den Höchststand des Jahres zu.
Das gleiche Bild zeigt sich übrigens bei den Verkaufsangeboten. In einer Befragung bei 520 Eigentümer/Innen auf unserer Plattform gaben fast 90 Prozent an, dass die Nachfrage nach Immobilien weiterhin steigen wird oder stabil bleibt. Nicht trotz Corona, sondern vielleicht sogar (und auch) wegen Corona!

Welche Gründe sehen Sie denn für den Wertzuwachs von Wohnimmobilien?

Der jahrelange Wertzuwachs bei Wohnimmobilien in Deutschland vor Corona hatte gute Gründe:

  • Niedrige Zinsen eröffneten mehr Menschen die Möglichkeit einer Finanzierung
  • Alternativanlagen sind unattraktiv, weil Zinsen niedrig sind, bei deutschen Privatanlegern eine Aktienkultur fehlt und die Angst vor dem Werteverfall von Geldvermögen steigt
  • Unsere Bevölkerung wird immer älter und hat stark veränderte Wohnbedürfnisse, zudem stehen die stetig wachsenden Vermögensbeträge der nächsten Generation bald zur Verfügung
  • Die mehr als zehn Jahre dauernde sehr positive Konjunktur hat neue Vermögensinhaber geschaffen, die sich erste und/oder schönere Immobilien leisten können und wollen
  • Last but not least: Es gibt einfach weniger Wohnraum als nachgefragt wird

Also war es völlig logisch, dass eine das eine steigende Immobilien-Nachfrage zu über Jahre stetigen Preissteigerungen geführt hat. Bei einem kurzen Check dieser Faktenlage erkennt man schnell, dass sich an den genannten Ursachen für die positive Wertentwicklung der letzten Jahre rein gar nichts geändert hat durch die Corona-bedingte Situation. Im Gegenteil, es sind weitere Gründe hinzugekommen, welche die Bedeutung des Vermögenswertes „Immobilie“ sogar noch erhöhen werden.

Wie sehen Sie die Zukunft des Immobilienmarktes?

Das wohlhabende Deutschland steht bei der Wohnungseigentumsquote in Europa unverändert auf dem vorletzten (!) Platz. Auch der innerhalb einer Dekade bereits zweite erlebte Aktiencrash dürfte die Menschen in ihrer Zurückhaltung gegenüber dieser Anlageklasse bestärken und ihre Präferenz für die Immobilie, das „Betongold“ verstärken. Durch die Corona-bedingte Situation kommen sogar noch weitere Gründe hinzu, welche die Bedeutung des Vermögenswertes „Immobilie“ und die Nachfrage erhöhen. Die eigenen vier Wände bekommen wieder eine besondere Bedeutung – und werden wichtiger denn je. Stichwort Cocooning: Der Wunsch nach schönem Wohnen ist auf der Prioritätenliste wieder weit nach oben gerutscht.

Zweifelsfrei gibt es in dieser Zeit auch Belastungen für den Wohnimmobilienmarkt. Manch ein potenzieller Käufer kann oder will sich aufgrund aktueller oder erwarteter wirtschaftlicher Schwierigkeiten jetzt doch nicht mit einer Immobilienanlage belasten. „Auf Kante“ finanzierte Objekte kommen durch den Lockdown „unfreiwillig“ auf den Markt. Auch die Banken werden ihre Anforderungen an die Kreditvergabe anziehen. Und der ein oder andere potenzielle Verkäufer hält doch lieber an seiner sicheren Immobilie in diesen unsicheren Zeiten fest.
Diese Belastungen werden allerdings bei weitem weder den Markt zum Erliegen bringen noch die Preise purzeln lassen.
Verkäufer und Käufer von Immobilien genauso wie alle anderen Teilnehmer am privaten Wohnimmobilienmarkt handeln also nicht nur emotional, sondern auch rational sehr gut nachvollziehbar, wenn sie diesen Markt weiter gut und stabil funktionieren lassen. Dann braucht man vor einer drohenden Immobilienblase wirklich keine Angst haben.“

Sebastian Wagner / Gründer und Geschäftsführer des Proptech-Startups HAUSGOLD
www.hausgold.de

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