Chancenlos in Griechenland: Geordnete Insolvenz als beste Lösung

Gastbeitrag von Professor Spiridon Paraskewopoulos

Sofern Tsipras Regierungschef in Griechenland werden sollte, droht er damit, den Schuldendienst Griechenlands nicht mehr zu bedienen, bereits eingeführte Reformen rückgängig zu machen, die Arbeitslosigkeit in Griechenland mit zusätzlichen Einstellungen im öffentlichen Dienst zu bekämpfen und die gesamte Europäische Union sozialistisch zu reformieren. Dies alles ist schlimm genug.

Unverständlich aber ist die Verunsicherung der Märkte, der Griechen und der Eurozonen-Bevölkerung, die auf unüberlegte (?) und einseitige Äußerungen des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Junker, der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihres Finanzmisters, Wolfgang Schäuble, und des spanischen Ministerpräsidenten Mariano Rajoy, zurückgeht. Sie alle versuchen, die griechischen Wähler mit der Verbreitung Angst schürender Teilwahrheiten zugunsten einer auch für sie selbst unberechenbaren und korrupten Politiker-Klientel und der Mitverantwortlichen für die heutige Krise in Griechenland – namentlich der amtierende Ministerpräsident Antonis Samaras – zu beeinflussen.

Plumpe Drohungen aus dem Ausland

Diese plumpe, grobe und mit verdeckten Drohungen gespickte Einmischung in den griechischen Wahlkampf stellt meines Erachtens nicht nur ein Novum innerhalb der EU dar, sondern verletzt massiv den nationalen Stolz aller und besonders auch der vernünftigen Griechen. Trotzige Reaktionen bei den kommenden Nationalwahlen am 25. Januar sind deshalb nicht auszuschließen.

Der momentane Zustand der griechischen Wirtschaft

Wie geht es der griechischen Wirtschaft wirklich? Der noch regierende Ministerpräsident Samaras hat in der letzten Zeit immer wieder behauptet, dass es seiner Regierung in den letzten zweieinhalb Jahren gelungen sei, die griechische Krise zu bewältigen:

Konkret behauptet er,

  • die griechische Volkswirtschaft habe die Rezession bereits überwunden,
  • die primären Haushaltsdefizite seien eliminiert worden,
  • die Arbeitslosigkeit gehe langsam zurück,
  • und die internationale Kreditfähigkeit Griechenlands werde allmählich wiederhergestellt.

Harte Realität der makroökonomischen Daten

Betrachtet man allerdings die tatsächlichen makroökonomischen Zahlen Griechenlands (siehe Tabelle), dann sind Zweifel an dem von Herrn Samaras Gesagtem angebracht. Das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) Griechenlands hatte 2014 das Niveau von 2004, die Arbeitslosenquote ist von 7,7 Prozent im Jahre 2008 auf 26 Prozent im Jahre 2014 gestiegen. Die gesamten (nicht die primären) Staatshaushaltsdefizite betrugen 2014 rund 8,4 Milliarden Euro, die Staatsschulden erreichten Ende 2014 etwa 326 Milliarden Euro (ca. 179% des BIP). Die Bedienung der Schulden (Tilgung und Zinsen) wird in der kommenden vierjährigen Legislaturperiode mehr als 60 Milliarden Euro, also mehr als 15 Milliarden Euro im Jahresdurchschnitt erfordern. Etwa 80 Prozent der öffentlichen Schulden Griechenlands sind Kredite des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Der Rest (20%) setzt sich aus mittelfristigen Krediten von privaten Anlegern zusammen.

Ob die gegenwärtigen griechischen Schulden (rund 326 Mrd. €) bedient werden können, hängt primär von der Wachstumsentwicklung der griechischen Volkswirtschaft und der Höhe der Staatshaushaltsüberschüsse in den nächsten Jahren ab. Im laufenden Jahr muss Griechenland mit circa 16 Milliarden Euro Tilgung und mit 5,9 Milliarden Euro Zinsen (insgesamt 21,9 Mrd. €) seine Staatsschulden bedienen.

Im Staatshaushalt wurden für 2015 Einnahmen in Höhe von 55,6 Milliarden Euro und Ausgaben in Höhe von 55,7 Milliarden Euro vorgesehen. In den Ausgaben sind die Schuldzinsen enthalten, was bedeutet, dass man mit einem primären Haushaltüberschuss in Höhe von rund sechs Milliarden Euro in diesem Jahr rechnet. Übrig bleiben die 16 Milliarden Euro für die Tilgung, die noch finanziert werden müssen. Für das laufende Jahr scheint die Finanzierung möglich zu sein, da von den 240 Milliarden Euro der Rettungskredite des ESM und des IWF noch rund 14 Milliarden Euro zur Verfügung stehen und nach dem Staatshaushaltsplan mit einer Wachstumsrate von 2,9 Prozent gerechnet wird. Bedingung ist allerdings, dass die Einnahme- und Wachstumserwartungen des Staatshaushalts tatsächlich eintreten.

Für das Jahr 2016 sind für den Schuldendienst 13,1 Milliarden Euro erforderlich. Da für das Jahr 2016 keine billigen Kredite vom ESM und IWF mehr zur Verfügung stehen, muss Griechenland hohe Staatshaushaltsüberschüsse erwirtschaften. Reichen diese nicht aus, dann muss der Rest auf den Kapitalmärkten besorgt werden. Ein solcher Prozess setzt allerdings voraus, dass

  • die griechische Volkswirtschaft kontinuierlich mit Wachstumsraten zwischen drei Prozent und fünf Prozent wächst,
  • die Regierenden, die für die Erreichung dieser Wachstumsrate notwendigen Reformen zügig realisieren,
  • die Arbeitslosigkeit rasch abnimmt,
  • die Kapitalmärkte mit verkraftbaren Zinssätzen den Umtausch der griechischen Schulden refinanzieren und
  • die griechische Bevölkerung mit Geduld und Enthaltsamkeit diesen Prozess mitmacht.

Junker, Merkel und die anderen sind offensichtlich der Meinung, dass es zu diesem Prozess erstens keine Alternative gibt und zweitens, dass der Politiker Samaras willig und fähig ist, diesen Weg zu gehen und zum Vorteil aller Beteiligten erfolgreich zu gestalten und durchzuführen. Deshalb würden sie es begrüßen, wenn er weiter Ministerpräsident in Griechenland bleibt.

Ein sozialistisches Experiment in Griechenland?

Doch was würde aber geschehen, wenn die griechische Wählerschaft Herrn Samaras nicht traut und Alexis Tsipras wählt?

Und Tsipras dann den vorher beschriebenen mühsamen Weg der Reformen und des Sparens, der nach seiner Auffassung die griechischen Einkommen bis zu 40 Prozent gekürzt, die Arbeitslosigkeit auf über 25 Prozent gebracht und Millionen Griechen verarmt hat, nicht so weiter gehen will?

Und was würde geschehen, wenn er seine Gläubiger mit der Bitte konfrontiert, ihm die Chance zu geben für die Zeit seiner vierjährigen Regierungsperiode auf die Bedienung der Schulden von über 60 Milliarden Euro zu verzichten? So bekäme er die Möglichkeit, sein sozialistisches Experiment in Griechenland durchzuführen.

Gingen die Kreditgeber darauf ein, dann gäbe es zunächst keine Zahlungsunfähigkeit Griechenlands und der Grund für den Grexit wäre nicht gegeben. Die Kapitalmärkte wären beruhigt und die Eurozone bliebe stabil. Hätte Herr Tsipras am Ende seiner Regierungsperiode sogar Erfolg, dann wäre die griechische Volkswirtschaft saniert und der Schuldendienst könnte wieder beginnen. Frau Merkel, Herr Junker, Herr Schäuble, Herr Rajoy, die übrigen Europäer und das griechische Volk hätten damit erfahren, dass es auch andere erfolgreiche Alternativen zu dem bisherigen strengen und unbarmherzigen europäischen Sparkonzept gibt.

Misslingt aber Tsipras Experiment, dann ist er politisch bei seinen Griechen erledigt und sie werden – mit vier Jahren Verspätung – einen besseren Samaras suchen und einsetzen. Die Realisierung des unbarmherzigen europäischen Sparkonzepts und die Grexit-Diskussion beginnen dann wieder von vorne.

Gehen die Kreditgeber auf Tsipras Bitte nicht ein und er hört – ohne die Zustimmung seiner Gläubiger – mit dem Schuldendienst auf, dann ist Griechenland sofort zahlungsunfähig. Befolgt er dabei den Rat des deutschen Ökonomen Werner Sinn nicht und bleibt Mitglied der EWU – was rechtlich möglich ist – dann werden meines Erachtens zunächst daraus auch keine nennenswerten Probleme für die Stabilität des Euro und für den Zusammenhalt der Eurozone entstehen, da vorwiegend die europäischen Steuerzahler und nicht die Kapitalmärkte die Verluste von Milliarden Euro Krediten und Kreditzinsen tragen werden.

Es stimmt auch nicht, was viele Ökonomen behaupten, dass Griechenland aus sich heraus die EWU verlassen müsste, weil die griechischen Geschäftsbanken kein Geld mehr von der Europäischen Zentralbank (EZB) bekommen und zusammenbrechen würden. Griechenland als Mitglied der EWU ist Miteigentümer der EZB und als solcher hat es die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Mitgliedsländer. Die EZB ist deshalb verpflichtet, für die Umsetzung des von über 180 Milliarden Euro jährlichen BIP Griechenlands das nötige Geld zur Verfügung zu stellen. Deshalb dürfte auch durch die Zahlungsunfähigkeit Griechenlands sein Geschäftsbankensystem nicht zusammenbrechen.

Durch die Einstellung des Schuldendienstes bekäme sogar Griechenland die Chance, die finanziellen Spielräume für den Beginn einer Aufwärtsentwicklung zu nutzen, und das sogar unter den Bedingungen der stabilen Eurowährung. Die immer wieder von vielen Ökonomen behaupteten Vorteile des Austritts Griechenlands aus der gemeinsamen Währung und der Einführung einer eigenen Währung sind aber eine Illusion. Denn Staaten mit einer Verschuldung eines solch großen Ausmaßes wie Griechenland und mit einem solchen hohen Korruptionsgrad, neigen dazu – wie die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen – die eigene Währung zu verwenden, um mit übermäßigem Gelddrucken ihre Finanzprobleme zu lösen. Die Folgen wären dann eine galoppierende Inflation, allgemeines Misstrauen gegenüber der neuen Währung, Kapitalflucht und letztlich wieder wirtschaftliche Rezession mit sehr hoher Arbeitslosigkeit und allgemein großer Armut.

Mittelfristig wären allerdings die negativen Folgen eines zahlungsunfähigen Griechenlands innerhalb der EWU für beide Seiten (Eurozone und Griechenland) nicht einschätzbar. Monetäres und sachliches Vermögen Griechenlands und seiner Zentralbank im Ausland sowie sämtliche Zuschüsse im Rahmen der EU-Programme würden sofort beschlagnahmt. Für viele Jahre würde Griechenland keine Vermögensgegenstände im Ausland bilden oder erwerben können und keine Kredite von den Kapitalmärkten erhalten. Alle Importe würden Barzahlungen bedürfen.

Hinzu kämen moralisch-ethische Probleme. Griechenland und die Griechen würden aufgrund der Nichtrückzahlung der Kredite und der Nichtzahlung der vereinbarten Zinsen als Betrüger, Lügner und Diebe gelten und diskreditiert werden. Zugleich würde Griechenland von den anderen Euroländern unter einen massiven Mobbing-Druck gesetzt, der dazu führen wird, dass letztlich Griechenland von sich aus die Eurozone verlassen wird.

Eine neue Odyssee steht bevor

Daher bestünde meines Erachtens für beide Seiten die beste Lösung darin, so schnell wie möglich – egal wer Ministerpräsident wird – eine Vereinbarung über eine geordnete Insolvenz zu treffen, bevor die totale Zahlungsunfähigkeit (Staatsbankrott) mit sehr negativen Folgen für Griechenland, für die Gläubiger und für die Eurozone insgesamt eintritt. Unter geordneter Insolvenz wird hier verstanden – unter der Voraussetzung der zügigen Durchführung von bestimmten Reformmaßnahmen – der Erlass eines Teils der Schulden oder Streckung der Tilgung sowie Senkung der Zinsen oder Aussetzung des Schuldendienstes für einige Jahre. Den dafür notwendigen Reformwillen hat allerdings Herr Samaras trotz Troika bisher nicht gezeigt und Herr Tsipras lehnt nicht nur die Troika, sondern auch jegliche notwendige Reformen kategorisch ab.

Deshalb wird – wenn die griechischen Wähler am 25. Januar das Experiment mit der Wahl einer neuen Generation von Politikern nicht wagen, was sehr wahrscheinlich ist, und das Schicksal Griechenlands wieder den Klientel Politikern des Typs Samaras oder Tsipras überlassen – letztlich ein Grexit unvermeidlich sein. Die Europäer werden dadurch ihre Milliarden-Kredite zwar verlieren, sie bekämen aber dafür – ohne die permanent kostspieligen Unruhestifter namens Griechen – die ersehnte Stabilität in der Eurozone. Für die Griechen würde allerdings eine neue Odyssee außerhalb der Eurozone beginnen. Wahrscheinlich werden diesmal 20 Jahre nicht ausreichen, um Ithaka zu erreichen.

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