Produkt- und Markenpiraterie haben sich zuletzt explosionsartig ausgebreitet

Interview mit Christine Lacroix, Geschäftsleitung Aktion Plagiarius

Wirtschaftsforum: Frau Lacroix, unter den diesjährigen Plagiarius-Preisträgern finden sich Spielwaren genauso wie technische Produkte. Gibt es überhaupt noch eine Branche, die resistent gegen Plagiate ist?

Christine Lacroix: Wenn überhaupt, dann nur Nischenprodukte. Grundsätzlich stehen renommierte Marken- und Luxusartikel genauso wie Produkte „Made in Germany“ im permanenten Fokus der Nachahmer. Der Zoll beschlagnahmt überwiegend Fälschungen aus den Bereichen Bekleidung, Sportartikel & Accessoires, Medikamente, Lebensmittel, Kosmetika sowie Elektronik und Ersatzteile. Prinzipiell wird aber alles, was am Markt erfolgreich ist und große Profite verspricht, nachgemacht. In mehr als 40 Jahren hat die Aktion Plagiarius ihren gleichnamigen Negativpreis an plumpe Nachahmerprodukte aus nahezu allen Branchen verliehen: Haushaltwaren, Sanitärprodukte, Werkzeuge, (Büro-)Möbel, Kinderspielzeug, Hundeleinen, Kniebandagen, Parfums, aber auch technische Produkte, wie zum Beispiel Druckmessgeräte, Kühlmittelpumpen, Motorsägen, Hochdruckreiniger und vieles mehr.

 

 

Wirtschaftsforum: Plagiate wirken auf den ersten Blick ausschließlich wie ein Problem der Wirtschaft. Dabei interessiert Menschen in der Regel nur, wovon sie direkt betroffen sind. Wie stellen Sie diese Betroffenheit her?

Christine Lacroix: Mit Fallbeispielen aus dem Alltag, spannenden Fakten und Hintergrundinformationen sowie einem Perspektivwechsel. Beim Kauf von gefälschten Luxusartikeln am Strand sind die Verbraucher „Täter“ und spielen das Problem als harmloses Kavaliersdelikt herunter. Sind sie aber selbst Opfer eines Betrugs – zum Beispiel auf der Jagd nach Schnäppchen im Internet – und erleiden finanziellen oder gesundheitlichen Schaden, ändert sich diese Einschätzung schlagartig. Leider lauern in vielen Billigfälschungen versteckte Risiken und Original und Plagiat sind nur auf den ersten Blick täuschend ähnlich. Wir vermitteln den Verbrauchern, dass sie sich nicht blauäugig der Illusion hingeben dürfen, dass gleiches Aussehen automatisch auch gleiche Qualität, Leistungsfähigkeit und Sicherheit bedeutet. Außerdem regeln sich unsere Märkte über Angebot und Nachfrage.

Jeder einzelne Konsument trägt also Mitverantwortung für den Erfolg der Fälscher. Wer bewusst Plagiate und Fälschungen kauft, schwächt nicht nur innovative Markenhersteller, er unterstützt unter anderem auch Kinderarbeit und kriminelle Machenschaften. Häufig stellen wir zudem fest, dass der Erfolg von Nachahmungen auch mit einer mangelnden Wertschätzung für das Originalprodukt zusammenhängt. Deshalb führen wir den Konsumenten praxisnah vor Augen, dass die Entwicklung eines Produktes von der ersten Idee bis zur Präsentation im Laden viel Zeit, Geld und Know-how kostet.

Christine Lacroix, Geschäftsleitung Aktion Plagiarius
„Unter den Preisträger-Produkten waren schon nachgemachte Motorsägen, bei denen der vordere Handschutz, also der Auslösehebel für die Kettenbremse, bereits in der Verpackung abgebrochen war.“ Christine Lacroix

Wirtschaftsforum: Bereits zum 43. Mal ist der Plagiarius vergeben worden. Gibt es Plagiatsfälle, die dabei als besonders negative Fälle in die Annalen der Veranstaltung eingegangen sind?

Christine Lacroix: Die Frage lässt sich anschaulich anhand unserer Sonderpreise beantworten, die unter anderem an Serientäter, Wiederholungstäter oder auch für bewusste Anstiftung zum Plagiat vergeben wurden. Nicht zu vergessen der „Hyänenpreis“, bei dem diverse Hersteller dasselbe Originalprodukt nachahmen und wie Hyänen ihre „Beute bedrängen“. Dieser wurde jüngst an 19 Händler aus 12 europäischen Ländern (inkl. Deutschland) verliehen, die Plagiate eines Bewegungsmelders der Firma Steinel GmbH vertreiben.

Für mich persönlich besonders eklatant sind Plagiate, von denen ernsthafte Risiken für die Nutzer ausgehen: Unter den Preisträger-Produkten waren schon nachgemachte Motorsägen, bei denen der vordere Handschutz, also der Auslösehebel für die Kettenbremse, bereits in der Verpackung abgebrochen war. Ebenso wurden uns schon gefälschte Autofelgen eingereicht, die auf einer deutschen Messe beschlagnahmt wurden und die beim Belastungstest durch den TÜV nach kurzer Zeit Risse aufwiesen und auseinandergebrochen sind. Entsetzt war die Jury auch über nicht funktionsfähige Notfall-Beatmungsgeräte. Darüber hinaus zeigen wir im Museum Plagiarius nachgemachte Designer-Armaturen, die – von außen nicht zu erkennen – mit billigen Bleirohren ausgestattet sind. Mit jedem Händewaschen und Zähneputzen nimmt der Benutzer Bleiwerte über die Haut auf, die 70% über den in Deutschland zulässigen Werten liegen. All diese Beispiele zeigen drastisch den Unterschied zwischen billig und preiswert – und die Skrupellosigkeit der Fälscher.

Wirtschaftsforum: Wenn ich als Unternehmer von Produkt- und Markenpiraterie betroffen bin. Was sind erste Maßnahmen, die ich dagegen ergreifen kann?

Christine Lacroix: Grundsätzlich gilt in Deutschland wie in vielen anderen Ländern Nachahmungsfreiheit. Daher ist vor der Markteinführung eines neuen Produktes das Eintragen von gewerblichen Schutzrechten – Marke, Patent, Design – unerlässlich. Ohne solche Schutzrechte sind Kopien zwar einfallslos und moralisch verwerflich, aus rechtlicher Sicht aber in vielen Fällen legal, wenn nicht zum Beispiel unlauteres Wettbewerbsverhalten nachgewiesen werden kann. Mit eingetragenen gewerblichen Schutzrechten hingegen haben Betroffene die Möglichkeit, den Plagiator zur Rechenschaft zu ziehen, das heißt, sie können unter anderem ihre Ansprüche aus Unterlassung, Schadenersatz und Auskunft geltend machen. Alternativ bleibt noch Klage einzureichen. Wer eingetragene gewerbliche Schutzrechte hat kann zudem den Zoll beauftragen, rechtsverletzende Waren bereits an den Außengrenzen aus dem Verkehr zu ziehen. Allgemein wichtig sind das Sammeln von Beweisen und ein schnelles professionelles Agieren. Wer sich nicht wehrt, sendet falsche Signale und ist auch zukünftig ein leichtes Opfer für rücksichtslose Nachahmer.

„Die Profite – insbesondere in den Bereichen gefälschte Bekleidung & Accessoires, Medikamente und Zigaretten – sind sehr lukrativ und teils vergleichbar mit denen aus dem Drogenhandel.“ Christine Lacroix
Christine Lacroix, Geschäftsleitung Aktion Plagiarius

Wirtschaftsforum: Die Weltwirtschaft wächst weiter zusammen und wird gleichzeitig immer komplexer. Wird es Ihrer Meinung nach irgendwann keinen Platz mehr für Plagiate geben?

Christine Lacroix: Das wäre schön, wird aber ziemlich sicher nicht eintreten. Im Gegenteil: Globalisierung, digitale Kommunikation, das Internet und leichtgläubige (Online-)Schnäppchenjäger haben in den letzten Jahren für eine geradezu explosionsartige Ausbreitung von Produkt- und Markenpiraterie gesorgt. Solange es Nachfrage gibt, wird diese auch bedient werden. Hinzu kommt, dass die Profite – insbesondere in den Bereichen gefälschte Bekleidung & Accessoires, Medikamente und Zigaretten –sehr lukrativ und teils vergleichbar mit denen aus dem Drogenhandel sind. Und das bei gleichzeitig geringem Strafmaß bei Entdeckung. Abschreckende Wirkung: quasi Null. Die Täterstruktur ist breit und reicht vom ideenarmen Wettbewerber über rücksichtslose Händler bis hin zur organisierten Kriminalität.

Momentan finden viele komplexe Entwicklungen parallel statt: Die Zoll-Statistiken zeigen, dass China nach wie vor mit großem Abstand das Hauptursprungsland gefälschter Waren ist. Gleichzeitig aber verfolgt China seit Jahren mit Nachdruck und Investitionen in Milliardenhöhe seinen ehrgeizigen Zehnjahresplan „Made in China 2025“: Das Land will zu den technologisch führenden Industrieländern aufschließen. Weg von der verlängerten Werkbank des Westens hin zum ernsthaften Mitbewerber auf den Weltmärkten. Ehrlicherweise muss man auch sehen, dass alle Zoll-Statistiken nur Waren berücksichtigen, die aus Drittländern in das jeweilige Gebiet (zum Beispiel EU) eingeführt werden sollten, sie erfassen keine Rechtsverletzungen innerhalb dieser Region. Fakt ist aber, unlautere Nachahmungen werden häufig auch in Industrieländern hergestellt, vertrieben oder sogar von dort in Auftrag gegeben. Oftmals von Mitbewerbern vor Ort oder ehemaligen Produktions- beziehungsweise Vertriebspartnern. Sehr gezielt prüfen Mitbewerber aus aller Welt heutzutage die Existenz von gewerblichen Schutzrechten. Sind keine eingetragen, werden Anspruchsdenken und Skrupel über Bord geworfen und fremde Design- und Techniklösungen allzu gern als eigene Leistung ausgegeben.

Interview: Markus Büssecker | Fotos: Aktion Plagiarius

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