Datenschutz? Wir brauchen eine gangbare Balance zwischen dem Geschäftlichen und dem Privaten

Interview mit Hendrik Albers, Regional Business Manager Central Europe von Starship Technologies

Wirtschaftsforum: Starship Technologies bietet eine Lösung für die “letzte Meile”, indem Waren, die der Kunde per App mit seinem Handy bestellt hat, von Robotern geliefert werden. Welche Branchen werden Ihrer Ansicht nach am meisten von dieser Technologie profitieren?

Hendrik Albers: Ich denke, dass der Kunde selbst am meisten von dieser Entwicklung profitieren wird und keine bestimmte Branche. Denn die Nachfrage nach Lieferungen, die noch am selben Tag zugestellt werden sollen, ist derzeit sehr groß. Amazon ist wahrscheinlich das beste Beispiel dafür; dort ist die Latte sehr hoch gehängt worden hinsichtlich dessen, was Kunden erwarten dürfen. Doch es gibt auch etliche weitere Beispiele. Studien von PWC und dem Fraunhofer Institut haben gezeigt, dass Kunden ihre Lieferungen in Echtzeit zurückverfolgen und entscheiden möchten, wann und wo ihre Pakete am von ihnen ausgewählten Zielort ankommen. Das kann Starship bieten.

Hendrik Albers
„Ich kann absolut verstehen, dass mancher dieser neuen Technologie und dem echten Nutzen, den sie Menschen im täglichen Leben bringen kann, skeptisch gegenübersteht.“ Hendrik Albers

Wirtschaftsforum: Automatisierung, besonders in der Transportbranche, erweckt oftmals die Sorge, dass sich in der Gesellschaft irgendwann keine Arbeiten mehr finden, die von Menschen erledigt werden können, weil Roboter vieles in naher Zukunft besser, günstiger und verlässlicher übernehmen könnten. Teilen Sie diese Sorge, und falls ja, wie kann sich die Gesellschaft auf so einen enormen Umbruch vorbereiten?

Hendrik Albers: Ich kann absolut verstehen, dass mancher dieser neuen Technologie und dem echten Nutzen, den sie Menschen im täglichen Leben bringen kann, skeptisch gegenübersteht. Aber ich meine, dass die Automotive-Branche – besonders in Deutschland – einen sehr guten Vergleich ermöglicht. Denken Sie an all die Bilder von Menschen, die rote Fahnen schwenkend neben den Autos hermarschierten, als die in ihren Anfangstagen erst sehr langsam fahren konnten. Damals haben viele befürchtet, dass Autos den Kutschern die Existenzgrundlage streitig machen könnten. Am Ende gestalteten sich die Dinge ganz anders: Die Automotive-Branche ist heute einer der größten Arbeitgeber in Deutschland.

Meiner Ansicht nach lässt sich diese historische Situation durchaus mit den Robotern vergleichen: Ja, anfänglich wird es eine Verschiebung in den Tätigkeitsfeldern geben, aber mit der Zeit wird sich der Arbeitsmarkt anpassen und die Menschen werden all die Vorteile erkennen. Das gilt Besonders für unsere sich sehr schnell verändernde Gesellschaft und in einem Umfeld, in dem wir mit anderen Ländern schritthalten müssen.

Wirtschaftsforum: Das Thema Daten steht im Mittelpunkt vieler Debatten zur Digitalisierung. Während die angelsächsische Welt hierzu wohl eine entspanntere Einstellung hat, sind in vielen europäischen Ländern sehr strenge Datenschutzbestimmungen in Kraft. Glauben Sie, dass Europa seine Bestimmungen künftig lockern muss, um im Wettbewerb mit innovativen ausländischen Unternehmen erfolgreich zu sein?

Hendrik Albers: Ich glaube, dass die europäischen Datenschutzgesetze aus gutem Grund bestehen, und Starship als ein europäisches Unternehmen mit Sitz in Tallin hält diese Bestimmungen vollständig ein. Als Gesellschaft müssen wir sehr aufpassen, dass wir nicht überregulieren und stattdessen eine gangbare Balance schaffen, die einerseits Innovation unterstützt, während sie andererseits die Privatsphäre des Verbrauchers wahrt. Für manche Unternehmen kann das ein Drahtseilakt sein. Aber Starship hat sehr konkrete Abläufe entwickelt, um sicherzustellen, dass diese Balance aufrechterhalten wird.

Wirtschaftsforum: Sie erwähnten gerade das Problem der Überregulierung. Gibt es Ihrer Meinung nach schon zu viel Regulierung in Europa und würde es innovativen Unternehmen wie Starship helfen, wenn weniger reguliert würde, als es jetzt der Fall ist?

Hendrik Albers: Es würde unser Leben in vielerlei Hinsicht etwas leichter machen, aber ich persönlich bin ein großer Befürworter des Datenschutzes. Vom geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet, müssen wir dennoch immer noch in der Lage sein, unsere Geschäftstätigkeit auszuüben. Das habe ich gemeint, als ich über die Notwendigkeit einer sinnvollen Balance sprach, die beide Zielsetzungen berücksichtigt.

Wirtschaftsforum: Wie lassen sich Ihrer Meinung nach das Bedürfnis eines innovativen digitalen Unternehmens, Verbraucherdaten zu sammeln, und das Recht des Verbrauchers auf Schutz seiner Privatsphäre miteinander vereinbaren?

Hendrik Albers: Die meisten Unternehmen, die Kundendaten sammeln, tun das mit dem Ziel, dem Kunden damit zu nützen. Sehen wir uns die Paketzustellung an: Man muss dazu wissen, wer der Kunde ist, wann er seine Bestellung geliefert haben möchte. Man muss über etliche persönliche Details Bescheid wissen. Kennt man diese nicht, kann man seine Waren nicht zügig ausliefern. Wenn die Bestimmungen die Erhebung solch essenzieller Daten verbieten, kann der Kunde seine Pakete nicht in Empfang nehmen. Dennoch hat der Kunde jederzeit durch ein Opt-out die Möglichkeit, daran nicht teilzunehmen. Die Möglichkeit, jederzeit aus einer bestimmten Sache auszusteigen, ist meiner Auffassung nach das Herzstück des Datenschutzes. Aber in diesem Fall kann man vielleicht aus der Zukunft des Transportwesens auch keinen Nutzen ziehen.

Hendrik Albers
„Die meisten Unternehmen, die Kundendaten sammeln, tun das mit dem Ziel, dem Kunden damit zu nützen.“ Hendrik Albers

Wirtschaftsforum: Starships Gründer Ahti Heinla stammt aus Estland, wo sich der Engineering-Hauptsitz von Starship Technologies befindet. Estland hat in der Digitalen Transformation mit vielen innovativen Ideen wie etwa der E-Citizenship für Schlagzeilen gesorgt und eine Führungsrolle übernommen. Was können andere Länder, besonders größere europäische Volkswirtschaften wie Deutschland und Frankreich, von Estlands digitalem Modell lernen?

Hendrik Albers: Ich bin ein großer Fan des E-Citizenship-Systems in Estland, das den Bürgern das Leben sehr erleichtert. Nur ein Beispiel: In Estland registrieren Sie sich einmal in einer offiziellen Behörde und alle anderen Behörden haben danach Zugriff auf Ihre Daten. Am vergangenen Dienstag war ich bei einem Dinner, bei dem auch der estnische Premier Jüri Ratas anwesend war. Er führte das konkrete Beispiel an, wie Estland mit dem Elterngeld umzugehen plant: Wenn ein Kind geboren wird, müssen die Eltern seine Geburt bei den Behörden melden, weil es ein neuer Staatsbürger ist. Aber warum müssen Eltern in so vielen Ländern einen langwierigen Prozess durchlaufen, damit sie etwas bekommen, auf das sie ohnehin Anspruch haben? In Estland registriert das E-Citizenship-System automatisch, dass Sie ein Neugeborenes haben und die Behörden überweisen Ihnen das Geld direkt auf das Konto – ohne weiteren Papierkram. Ich denke, dass das Leben für Estlands Bürger damit deutlich einfacher wird.

Natürlich ist es für ein Land mit über achtzig Millionen Einwohnern nicht so einfach, seine Abläufe derart zu organisieren wie für einen Staat mit nur eineinhalb Millionen Einwohnern. Dessen bin ich mir völlig bewusst. Aber ich bin der Ansicht, dass die E-Citizenship im Kern auf ein grundlegendes Vertrauen in die Technologie zurückgeht.

Hendrik Albers
„Ich bin der Ansicht, dass die E-Citizenship im Kern auf ein grundlegendes Vertrauen in die Technologie zurückgeht.“ Hendrik Albers

Wirtschaftsforum: Gibt es irgendwelche spezifischen regulatorischen Hürden, mit denen sich Starship in Europa abfinden muss, die es in den USA nicht gab?

Hendrik Albers: Ja, und die zentrale Herausforderung, der wir in Europa gegenüberstehen – nicht in allen Ländern, aber momentan in Deutschland – liegt in der (fehlenden) Anerkennung von Robotern in den Straßenverkehrsordnungen. Wir haben bereits Genehmigungen zum autonomen Fahren in etlichen Staaten der USA. In Deutschland streben wir eine landesweite Verordnung an, die den Roboter als einen Teilnehmer im Straßenverkehr anerkennen würde. Das ist für alle sehr wichtig – nicht nur für Starship, sondern auch für alle anderen Straßenverkehrsteilnehmer. Einmal anerkannt, hätte der Roboter seine Rechte und Pflichten, und es gäbe eine viel größere Rechtssicherheit. Es wäre dann völlig klar, was der Roboter tun dürfte und was nicht. Es würde weiter Klarheit darüber herrschen, wer im Falle eines Unfalls die Schuld trägt. Das ist wichtig für das Rechtssystem, die Versicherung und die Interaktion mit allen anderen Teilnehmern am Straßenverkehr.

Wirtschaftsforum: Wo glauben Sie wird Starship in Europa in fünf Jahren stehen?

Hendrik Albers: Definitiv als Marktführer in der autonomen Lieferung. Starship wird für den Kunden die erste Option für eine schnelle und günstige Lieferung auf Abruf sein. Wir arbeiten sicher und leise. Wir verursachen keine Überlastung im Strassenverkehr und weil wir Batterien verwenden, verursachen wir anders als große Lkw auch keine Luft- und Lärmbelästigung. Außerdem parken wir nicht in der zweiten Reihe und verletzen somit keine Verkehrsregeln.

Wirtschaftsforum: Welche Maßnahmen wird Starship ergreifen, um in den europäischen Märkten schnell präsent zu sein?

Hendrik Albers: Wir arbeiten eng mit den nationalen Regierungen zusammen, um die juristischen Grundlagen für die Auslieferung durch Roboter zu verbessern. Hinter uns liegen mehr als 130.000 km auf öffentlichen Straßen. Wir sind dabei mehr als 15 Millionen Menschen begegnet. So haben wir eine sehr weitgehende Einschätzung unserer Fähigkeiten erlangt. Und wir möchten durch unsere Dienstleistungen für örtliche Unternehmen weiterhin ein ehrlicher, verlässlicher Partner sein.

Interview: Julian Miller

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