Frugalismus: Es geht um Lebensglück, nicht um Einschränkung

Interview mit Florian Wagner

Wirtschaftsforum: Herr Wagner, der Untertitel Ihres Buches lautet `Finanzielle Freiheit und Glück durch Frugalismus´. Für mich bringen Sie Gegensätze zusammen, die nicht zusammenpassen …

Florian Wagner: Das ist ein gängiges Vorurteil, das mir häufig begegnet: Frugal, was wörtlich `sparsam´, `genügsam´ bedeutet, wird mit Einschränkung assoziiert. Das genaue Gegenteil ist der Fall: Frugalisten stellen ihr Lebensglück an oberste Stelle. Indem ich mir bewusst werde, welche Tätigkeiten und Aufgaben mich in meinem Leben nachhaltig zufrieden machen, kann ich mir Geld als Mittel zum Zweck zunutze machen: indem ich mein Gehalt für das einsetze, was ich wirklich zu schätzen weiß und weniger für kurzfristige Glücksmomente, werde ich finanziell unabhängiger und kann meinen Alltag immer freier nach meinen Vorstellungen gestalten und glücklicher werden. Frugalismus hat für mich als Ziel, das bestmögliche Leben zu schaffen durch einen effizienten Einsatz meiner Ressourcen (Geld, Zeit, Umweltressourcen) und den Fokus auf das für mich Wesentliche.

Florian Wagner
„Die Unzufriedenheit von Angestellten ist in Europa deutlich zu hoch. Viele verschwenden ihre Energie in einem unliebsamen Job, weil sie finanziell darauf angewiesen sind.“ Florian Wagner

Wirtschaftsforum: Der Frugalismus findet weltweit immer neue Anhänger. Inwiefern würden Sie von einer bedeutsamen Bewegung innerhalb der Gesellschaft sprechen?

Florian Wagner: Letztes Jahr war ich zum dritten Mal auf der FIWE (Financial Independence Week Europe), einem Treffen von Frugalisten aus ganz Europa. Der Andrang wird immer stärker. Das freut mich sehr, denn unsere Gesellschaft kann von den Ideen des Frugalismus stark profitieren: indem wir bewusster konsumieren, auf Qualität und langfristige Freude setzen, werden insgesamt weniger `Dinge´ gekauft, jedoch von höherer Qualität. Das betrifft Lebensmittel, Anschaffungen und den Umgang mit Umweltressourcen. Gleichzeitig ist die Unzufriedenheit von Angestellten in Europa deutlich zu hoch. Viele verschwenden ihre Energie in einem unliebsamen Job, weil sie finanziell darauf angewiesen sind. Mit mehr finanzieller Unabhängigkeit können sie ihre Arbeit und Tagesgestaltung mehr nach ihren Stärken und Wünschen ausrichten – das macht zufriedener und sie sind produktiver für die Gesellschaft.

Wirtschaftsforum: Frugalisten werden häufig mit Vorurteilen konfrontiert. Auf welches stoßen Sie am häufigsten im Alltag und wie begegnen Sie ihm?

Florian Wagner: Wenn ich im Alltag erzähle, dass ich über die Hälfte meines Einkommens monatlich spare, ist eines der größten Vorurteile, dass Frugalisten `sich einschränken und heute nicht richtig leben´. Sparen wird mit Einschränkung verbunden. Dabei würde ich nie auf etwas verzichten, nur um mehr Geld sparen zu können. Gern erreiche ich aber langfristige Freude und Glück immer effizienter. Die Erkundung einer Küstenstadt in Italien unternehme ich viel lieber zu Fuß anstatt mit dem Touribus. Ich bin an der frischen Luft, ich sehe mehr, nach der Anstrengung genieße ich das Essen mehr. Als Nebeneffekt habe ich auch noch weniger Geld gebraucht. Das ist häufig so: Nehme ich das Fahrrad anstatt des Autos, ist es gesünder für mich, ich fühle mich durch die Bewegung besser und nebenbei habe ich am Monatsende mehr Geld übrig. Das Geld investiere ich und erhalte von nun an monatlich passive Erträge aus Aktien, P2P-Krediten oder Mieteinnahmen. Außerdem entscheidet jeder selbst über seine Geldverwendung: Jeder Frugalist darf für sich über seine Ausgaben und deren Höhe frei bestimmen. Ich gönne mir Luxus, lebe heute bereits großartig und trotzdem mag ich es, wenn monatlich Geld übrig bleibt, das mir im Anschluss durch passive Erträge mehr Unabhängigkeit verschafft. Diese Angst vor einem knausrigen Leben ohne Spaß als Frugalist versuche ich den Menschen durch das Buch zu nehmen.

„Sparen wird mit Einschränkung verbunden. Dabei würde ich nie auf etwas verzichten, nur um mehr Geld sparen zu können. Gern erreiche ich aber langfristige Freude und Glück immer effizienter.“ Florian Wagner
Florian Wagner

Wirtschaftsforum: Sie selbst sparen 60% Ihres Nettoeinkommens. Können denn nur Menschen mit hohem Einkommen Frugalisten sein und entsprechende Freiheit erlangen?

Florian Wagner: Eine Sparquote von 60% des Nettoeinkommens war mit meinem überdurchschnittlichen Ingenieursgehalt nicht schwer zu erreichen, für einen Mindestlohnempfänger ist dies unrealistisch. Um die Höhe geht es jedoch gar nicht. Mehr finanzielle Freiheit ist auf allen Einkommensniveaus möglich. Für Menschen mit hohem Einkommen ist es möglich, Jahrzehnte vor dem gesetzlichen Rentenalter nicht mehr auf ein Arbeitseinkommen angewiesen zu sein. Finanzielle Freiheit bei einem niedrigen Einkommen kann bedeuten, dass Geldsorgen viel seltener werden, da ein Notgroschen auf dem Konto angespart ist, eine Autoreparatur keinen finanziellen Notfall mehr bedeutet und man sich Erlebnisse leisten kann, von denen man immer geträumt hat. Vielen hilft es, überhaupt einen Überblick über ihre Finanzen zu bekommen, um wieder aktiv entscheiden zu können, wofür sie das Geld verwenden möchten und es nicht durch Gewohnheiten und Alltagstrott zu verschwenden. Frugalismus ist auf allen Einkommensniveaus möglich, jeder profitiert von einem bewussteren Umgang mit seinen Finanzen, der Gestaltung seiner kostbaren Lebenszeit und dem Fokus auf das Wesentliche, unsere langfristige Lebensfreude.

Wirtschaftsforum: Eine abschließende Frage: Welchen Aspekt,  der Ihnen durch Frugalismus ermöglicht wurde, schätzen Sie in Ihrem Leben am meisten?

Florian Wagner: Am meisten schätze ich an der Idee des Frugalismus, dass ich heute bewusster durchs Leben gehe: Ich erreiche mehr Lebensfreude mit weniger Ausgaben, konzentriere mich mehr auf Sport, Gesundheit und erfüllende Tätigkeiten und soziale Beziehungen. Durch meinen angesparten Puffer, der meinen Lebensstandard einige Jahre hätte sichern können, war ich in der Lage, einen Job zu kündigen, der mich gegen Ende nicht mehr glücklich machte, und den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen. Dadurch kann ich heute mehr Lebenszeit mit Dingen verbringen, die mir Freude bereiten, ich bin zufriedener. Mehr Selbstbestimmtheit und ein Fokus auf das Wesentliche, das wünsche ich mir für jeden von uns!

Interview: Markus Büssecker | Fotos: pomponetti; Econ

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Mehr zum Thema Finanzen

Echtzeitlösungen für Wirtschaft und Technik

Interview mit Dr. Michael Aichinger, Geschäftsführer der uni software plus GmbH

Echtzeitlösungen für Wirtschaft und Technik

Ob in Finanzwelt oder Industrie – komplexe Berechnungen müssen heute in Echtzeit erfolgen. Darauf ist die uni software plus GmbH spezialisiert: Sie verbindet Informatik, Mathematik und Physik zu Lösungen, die…

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Interview mit Michael Kiesewetter, Vorstandsvorsitzender der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Förderung ist ein Schlüssel für Wachstum, Innovation und Stabilität – besonders in Zeiten des Wandels. Als zentrale Förderbank des Landes nimmt sich die Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank) in Hannover…

„Finanzplanung ist Lebensplanung!“

Interview mit Bernd Steinhart, Vorstand Vertrieb und Frank Wemheuer, Vorstand der GLOBAL-FINANZ AG

„Finanzplanung ist Lebensplanung!“

Finanzprodukte und Vorsorgekonzepte sind oftmals äußerst komplex: Viele Menschen setzen deshalb unverändert auf den Rat kompetenter Vertriebspartner, die sich ganz auf ihre individuelle Situation einstellen können. Die GLOBAL-FINANZ AG ist…

Spannendes aus der Region

Passion für Mobilität

Interview mit Eugène Krabbenborg, CEO der Fleet Support Group B.V

Passion für Mobilität

Wer sich als Unternehmer wirklich auf sein Kerngeschäft fokussieren möchte, ist froh, wenn er zuverlässige Partner hat, die ihn entlasten. Ein solcher Partner ist die niederländische Fleet Support Group. B.V.…

Verpackt für den Erfolg: Nachhaltige Präsentationen

Interview mit Joachim Kratschmayr, Geschäftsführer der Packservice Gruppe

Verpackt für den Erfolg: Nachhaltige Präsentationen

Die Packservice Gruppe hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1980 in Karlsruhe zu einem führenden Anbieter von hochwertigen Verpackungslösungen und Logistikdienstleistungen entwickelt. Mit über 20 Standorten und mehr als…

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Interview mit Michael Kiesewetter, Vorstandsvorsitzender der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Förderung ist ein Schlüssel für Wachstum, Innovation und Stabilität – besonders in Zeiten des Wandels. Als zentrale Förderbank des Landes nimmt sich die Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank) in Hannover…

Das könnte Sie auch interessieren

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Interview mit Michael Kiesewetter, Vorstandsvorsitzender der Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank)

Förderung als Motor für Wachstum und Zukunft in Niedersachsen

Förderung ist ein Schlüssel für Wachstum, Innovation und Stabilität – besonders in Zeiten des Wandels. Als zentrale Förderbank des Landes nimmt sich die Investitions- und Förderbank Niedersachsen (NBank) in Hannover…

Tierisch digital

Interview mit Christian Lehmann, Co-CEO der Deine Tierwelt GmbH

Tierisch digital

Die Deine Tierwelt GmbH mit Sitz in Hannover hat sich in den vergangenen 18 Jahren von einer Online-Kleinanzeigenplattform zu einer der führenden Communities für Tierfreunde im deutschsprachigen Raum entwickelt. Im…

Verpackt für den Erfolg: Nachhaltige Präsentationen

Interview mit Joachim Kratschmayr, Geschäftsführer der Packservice Gruppe

Verpackt für den Erfolg: Nachhaltige Präsentationen

Die Packservice Gruppe hat sich seit ihrer Gründung im Jahr 1980 in Karlsruhe zu einem führenden Anbieter von hochwertigen Verpackungslösungen und Logistikdienstleistungen entwickelt. Mit über 20 Standorten und mehr als…

TOP