Dr. Gregor Luthe: Ohne Handwerk keine Erfindungen

Interview mit Prof. Dr. Gregor Luthe, Toxikologe, Chemiker und Erfinder

Wirtschaftsforum: Dr. Luthe, Sie sind als Maurersohn aufgewachsen, heute sind Sie Chemiker und Toxikologe. Inwiefern deutete es sich damals schon an, dass Sie in diese Richtung gehen statt ins Handwerk?

Dr. Gregor Luthe: Chemiker und Toxikologe ist zuerst einmal wie in jedem naturwissenschaftlichen Studium Handwerk. Mir ist es wichtig, dass ich Maurersohn bin, weil ich so das harte Arbeiten, um sich eine Zukunft aufzubauen, kennengelernt habe. Ziel war: den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. Heute würde ich sagen, dass die Kinder es nicht unbedingt besser haben, sondern anders. Wir haben gewisse Werte vermittelt bekommen: Bodenständigkeit, Ehrlichkeit, Fairness. 2013 war ich in den Niederlanden Professor des Jahres und mein Vater sagte zu mir: Was willst du denn werden, wenn du groß bist? (lacht) So viel zur Erdung durch das Elternhaus. Er sagte dann: Mach doch mal was Richtiges und werde Unternehmer! Und das habe ich dann gemacht.

Wenn du etwas kannst, das andere nicht können, dann ist das eine Aufgabe. Heute weiß ich, dass es sich tatsächlich so anfühlt. Damals bin ich als Maurersohn auf die Hauptschule gegangen. Ich habe mich dann hochgearbeitet und studiert. Das Handwerk hat mir in meinem Chemiestudium dabei geholfen, Dinge umzusetzen. Zwei Dozenten haben mir dann ein Labor gegeben und einfach gesagt: „Mach‘ mal!“ Ich sollte aufhören, es handwerklich und deterministisch anzugehen. Dort habe ich gelernt: Die Lösung findest du in der Chemie nur, wenn du dir die Moleküle als interaktive Partner vorstellst. Das akademische Handwerk hast du auch, aber jetzt beginnt das Träumen. Mein Dozent hat mich gelehrt, das Träumen mit den harten Fakten zu vereinen und darauf zu vertrauen. Das hat bisher immer funktioniert. Insofern waren die Hauptschule, das Bodenständige und das Handwerkliche immer wichtig für mich und die perfekte Grundlage für mein Studium. Bis heute brauche ich das Handwerk, um meine Ideen umzusetzen.

Dr. Gregor Luthe
„Menschen mit Bachelor, die die drei Jahre mit Lernen lernen, Mathematik und dem Schreiben in einer Firma verbracht haben, sind definitiv schlechter, als ausgebildete Chemiefabrikanten.“ Dr. Gregor Luthe

Ich glaube, dass das Handwerk in Deutschland viel zu wenig Anerkennung erhält. Handwerkliches Geschick, Zeichnen, Werken, Basteln, Praktika in Handwerksunternehmen müssten viel stärker gefördert werden – gerade auch für den Hochtechnologiestandort Deutschland. Wenn ich Bildungsminister wäre und machen dürfte, was ich wollte, würde ich jeden, egal, welche Schulform er besucht, ab der Klasse 10 erst einmal eine duale Ausbildung machen lassen. Ich würde gerne junge Leute heute weltweit um die Erde schicken, sodass sie für eine Weile in anderen Ländern und Familien leben. Dann hätten wir weniger Kriege und Probleme, mehr Akzeptanz und Kulturen. Dazu würde ich vielleicht das Abitur sogar abschaffen, weil ich nicht glaube, dass das dazu befähigt, an den Unis besser zu sein, als wenn vorher ein handwerklicher Beruf erlernt wurde. Menschen mit Bachelor, die die drei Jahre mit Lernen lernen, Mathematik und dem Schreiben in einer Firma verbracht haben, sind definitiv schlechter, als ausgebildete Chemiefabrikanten. Das ist doch verkehrte Welt. Gleichzeitig wird das Handwerk teilweise herabgewertet. Für das Handwerk stehe ich. Das Handwerk ist die Basis für einen guten Akademiker im Bereich Naturwissenschaften.

Wirtschaftsforum: Eine Ihrer Erfindungen, das Lutonit, dient der Isolierung, überdeckt Unebenheiten und ist dabei sowohl einfach in der Verwendung als auch gesund. Wie schwierig ist es, solche Ideen in einer konservativen Branche wie der Baubranche auf den Markt zu bringen?

Dr. Gregor Luthe: Mein Vater und ich haben damals versucht, eine neue Dämmung auf dem Dach anzubringen. Das hat zunächst nicht funktioniert, weil die Zeichnungen des Architekten nicht mit dem tatsächlichen Haus übereinstimmten. Das passt auch zum Thema Handwerk als Basis: Es ist ein Phänomen, dass Architekten Häuser zeichnen, ohne dass sie vorher einmal beispielsweise Maurer waren. Da das Wasser mit dem gelieferten Styropor falsch abgelaufen wäre, hätte es weggeschmissen und neu geliefert werden müssen. Ich dachte: Das kann nicht sein. Das Projekt haben wir dann erst einmal liegen lassen und ich habe mit Lutonit, einer gießfähigen Isolierung, ein eigenes Mittel erstellt.

„Die Handwerker sind diejenigen die mich mit den Problemen füttern, zu denen ich Lösungen erarbeite. Danach brauche ich vor allem die Handwerker um sie umzusetzen.“ Dr. Gregor Luthe
Dr. Gregor Luthe

Der Schaum ist nach drei Tagen fest. Unebenheiten waren ausgeglichen. Um das Problem mit dem Wasserablaufen zu lösen, hat mir ein ehemaliger Mitschüler und Handwerker mit seinen Ideen geholfen. Er hat das ganze viel praktischer und einfacher aus seiner Perspektive angesehen. Da kam dann auch die Aussage: Ein Doktor ist nicht alles! (lacht) Ich genieße das Zusammenspiel, weil daraus Ideen und Anmerkungen aus der Praxis heraus entstehen. Darauf muss man sich einlassen und auf Augenhöhe gemeinsam arbeiten. Deshalb, glaube ich, funktioniert das Produkt und wird uns von den Handwerkern, die es tatsächlich verwenden werden, aus den Händen gerissen, wenn es auf dem Markt ist. Die Handwerker sind diejenigen die mich mit den Problemen füttern, zu denen ich Lösungen erarbeite. Danach brauche ich vor allem die Handwerker um sie umzusetzen.

Heute sehe ich, wie teilweise ganze Häuser auf Styropor stehen und möchte nicht wissen, wie sie in 50 Jahren aussehen. Styropor ist organisch und wird brüchig, während Lutonit auf Zementbasis fest bleibt, nicht brennbar ist und nicht ausgast. So sackt kein Material nach und die Isolation bleibt gut. Der Klempner, der dann kam, hat mich gefragt, wo ich das Lutonit herhabe und wollte direkt Säcke vorbestellen. (lacht) Das spricht sich dann herum. Wir sind bei der Zulassung und die braucht eben Zeit. Das ist auch gut so, dass etwas geprüft wird. Das gehört dazu. Die Nachfrage aus dem Markt ist aber bereits vorhanden.

Ich glaube, die Handwerker sind sehr innovativ, wenn du ihnen auf Augenhöhe begegnest, sie mitdenken dürfen und sehen, dass das Produkt eine bessere Lösung ist. Es heißt immer, der Markt sei konservativ, aber ich glaube das gar nicht. Ich sehe eher das Gegenteil: Der Markt schreit nach Innovationen, aber beim Handwerker kommen die Innovationen nicht an, weil es handwerklich schwieriger umzusetzen ist oder noch keine Zulassung hat. Aber der Handwerker möchte eine vernünftige Lösung für sein Problem haben – dann steht er dahinter. Das sehe ich bei vielen Lösungen heute nicht, die lediglich auf dem Blatt Papier funktionieren und zu verkünstelt sind. Oft hat der Handwerker vor Ort die bessere Lösung. Deshalb brauchen Erfinder Handwerker.

Interview: Aurelia Leppen | Fotos: Dr. Gregor Luthe

Lesen Sie den zweiten Teil des Interviews hier

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