Weniger ist mehr – Wie die 4-Tage-Woche die Arbeitskultur bei Riddle revolutioniert hat

Was hat Sie dazu bewogen, die 4-Tage-Woche bei Riddle einzuführen? Gab es spezifische Probleme, die sie angehen oder Ziele, die Sie erreichen wollten?
Der Anstoß zur Einführung der 4-Tage-Woche kam von einem unserer Softwareentwickler. Nach seiner Hochzeit wollte er einen Weg finden, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen und dafür auch gerne auf Gehalt verzichten. Ich habe mich von Seiten des Vorstands daraufhin intensiv mit dem Thema beschäftigt, viel dazu gelesen und mir Meinungen eingeholt. Im Endeffekt hat mich der Gedankengang überzeugt, dass es unrealistisch ist, zu erwarten, dass z.B. ein Softwareentwickler an 5 Tagen pro Woche hochkonzentriert jeden Tag 8 Stunden arbeitet. Viel realistischer ist eine Arbeitszeit von zwei Mal drei Stunden am Tag oder vier Tage zu 8 Stunden und ein verlängertes Wochenende. Beide Optionen bieten wir unseren Mitarbeitenden an.
Welche Erkenntnisse haben Sie aus der Umstellung auf die 4-Tage-Woche gewonnen? Gibt es messbare Verbesserungen in der Produktivität, Mitarbeiterzufriedenheit oder anderen Bereichen?
Wir sind mit der Einführung sehr zufrieden. Die Produktivität hat in keiner Weise gelitten. Ganz im Gegenteil: Die Programmierfehler haben sich um 27% pro Release reduziert. Unsere Entwickler können ausgeruhter arbeiten und haben weniger Stress, Privates und Geschäftliches zu vereinbaren. Hinzu kommt, dass wir intern die Vereinbarung getroffen haben, dass die Arbeitsstunden wirklich zu 100% für die Arbeit genutzt werden. Dies sollte zwar selbstverständlich sein, aber bei einer 5-Tage-Woche bleibt oft nichts anderes übrig, als wichtige, private Dinge während der Arbeitszeit zu erledigen.
In den Bereichen Kundensupport, Sales, Administration und Marketing haben wir keine Änderung in der Produktivität gemessen, mussten allerdings im Bereich Support neue Stellen schaffen, um den fehlenden Tag aufzufangen. Hier zeigt sich, dass die 4-Tage-Woche immer dort Probleme schafft, wo der direkte Kontakt zu Kunden an bestimmten Uhrzeiten und Tagen gewährleistet sein muss. Ich kann mir vorstellen, dass in Organisationen, in denen der Personalmix stärker auf Kundenkontakt ausgerichtet ist, die 4-Tage-Woche nicht ganz so problemlos einzuführen ist.
Haben Sie Strategien oder Richtlinien implementiert, um sicherzustellen, dass die Produktivität während der verkürzten Arbeitswoche erhalten bleibt oder verbessert wird? Gab es Anpassungen bei den Arbeitszeiten oder Arbeitsabläufen?
Im Implementierungsprozess haben wir eine durchgehend offene und transparente Kommunikation gefördert. Dabei wurden von Anfang an Ziele, Erwartungen, Prioritäten sowie Wünsche und Bedürfnisse seitens der Mitarbeitenden und des Arbeitgebers klar kommuniziert. Dadurch konnten wir sicherstellen, dass alle Beteiligten die (nötigen) Veränderungen verstehen und sich darauf einstellen konnten. Geeinigt haben wir uns dann auf den bekannten 100-80-100-Ansatz – also 100% des ursprünglichen Gehalts bei 80% der bisherigen Arbeitszeit.
Prinzipiell war es das Ziel, die verkürzte Arbeitswoche erfolgreich umzusetzen, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen. Wir wollten eine positive Arbeitsumgebung schaffen, in der Mitarbeitende motiviert und befähigt sind, ihre Aufgaben effektiv zu erledigen.
Dafür sind ergebnisorientiertes Arbeiten, effektives Zeitmanagement und eine koordinierte Aufgabenverteilung zentral. Alle Mitarbeitende wurden ermutigt, ihre Zeit effizient zu managen und Prioritäten zu setzen, um die Produktivität während der verkürzten Arbeitswoche aufrechtzuerhalten. Gemeinsam als Team haben wir einen externen Workshop belegt, um uns in der Selbstorganisation zu schulen. Das war ein hilfreicher Impuls für unser weiteres Vorgehen. Uns war es wichtig den Mitarbeitenden Vertrauen zu schenken und Verantwortung zu übertragen. Wir wollen uns von Mikromanagement distanzieren und das selbstständige Handeln der Angestellten fördern.
Haben Sie Herausforderungen oder potenzielle Nachteile bei der Einführung der 4-Tage-Woche festgestellt? Wenn ja, wie sind Sie damit umgegangen, bzw. wie planen sie, diesen Herausforderungen zu begegnen?
Mit der Umstellung auf die 4-Tage-Woche kam es zunächst zu neuen Belastungssituationen. Da der Workload gleich blieb, die Arbeitszeiten jedoch reduziert wurden, waren die ersten Wochen für alle eine Herausforderung. Wir konnten uns jedoch gut anpassen und neue Routinen etablieren. Dies bedarf einer umfassenden Koordinierung der Arbeitsressourcen: Gerade was die Bürozeiten betraf, hat sich das Team feste Arbeitstage gesetzt. So können die Verfügbarkeiten transparent gewährleistet werden, was uns bspw. die Planung von Meetings erleichtert.
Wir haben die 4-Tage-Woche nun seit dem 1. Februar 2023 implementiert. Unsere geplanten Umsatzziele für 2023 wurden zu 100% erreicht, obwohl diese bereits vor Implementierung der 4-Tage-Woche festgesetzt wurden. Jedoch wurde das Rentabilitätsziel knapp verfehlt, da wir mehr Personal für den Kundenkontakt eingestellt haben und somit höhere Personalkosten hatten als geplant. Speziell in den Zuständigkeitsgebieten mit direktem Kundenkontakt muss die Erreichbarkeit gewährleistet sein. Durch eine höhere Produktivität kann dies nicht ausgeglichen werden. Kundenkontakt und -zufriedenheit sind unsere oberste Priorität. Das Einstellen neuer Arbeitskräfte war somit unvermeidlich für uns. Für 2024 gehen wir fest davon aus, sowohl die Umsatz- als auch Rentabilitätsziele voll zu erreichen.
Wie lautet ihr persönliches Fazit zur Einführung der 4-Tage-Woche bei Riddle?
Die 4-Tage-Woche wurde vom ganzen Kollegium sehr positiv angenommen. Als Betrieb erleben wir ein höheres Engagement, auch in kurzer Zeit die besten Ergebnisse zu erzielen. Zeitgleich bietet sich die Möglichkeit zur Erholung oder persönlichen Entwicklung für unsere Mitarbeitende, z.B. durch ein weiteres Studium, Fortbildungen oder einen Nebenjob, der wiederum Schwung und Ideen in die Firma bringen kann. Die Wertschätzung geht in beide Richtungen und das entgegengebrachte Vertrauen fördert das Arbeitsverhältnis. Wir konnten keine negativen Auswirkungen auf die Produktivität feststellen und werden für neue Mitarbeitenden deutlich attraktiver.
Wie bewerten sie die Eignung des Modells für verschiedene Branchen und Unternehmen? Könnte sich die 4-Tage-Woche flächendeckend umsetzen lassen?
Für Unternehmen, die in ihrer Arbeitsweise ein gewisses Maß der Flexibilität und bei denen die Erbringung der Arbeitsleistung nicht an feste Tage und Zeiten gebunden ist, eignet sich die 4-Tage-Woche auf jeden Fall.
Grundsätzlich sollte man in allen Bereichen das System überdenken. Auch wenn man sich zum Beispiel bei einem Handwerksbetrieb eine 4-Tage-Woche nur schwer vorstellen kann, ist eine Umsetzung mit guter Planung machbar – vor allem in Branchen, in denen es schwerfällt, Nachwuchs zu finden. Ein Handwerksbetrieb, der eine 4-Tage-Woche anbietet, wird leichter neue Mitarbeitende finden als ein klassischer 5-Tage-Betrieb. Die Voraussetzungen bei Riddle sind vorteilhaft, da wir remote arbeiten können und unsere Arbeitszeit flexibel aufteilbar ist. Aber auch wir haben Unternehmensbereiche, wie zum Beispiel den Kundensupport, bei denen eine gute Planung notwendig ist, um trotz 4-Tage-Woche immer für unsere Kunden erreichbar zu sein.
Sicherlich ist das Model in Branchen mit hohem Kundenkontakt schwierig umzusetzen, da Kernzeiten z.B. im Handel, Restaurants oder in der Pflege, eingehalten werden müssen. Hier ist die 4-Tage-Woche nur durch zusätzliches Personal umsetzbar.
Welche Ratschläge oder Empfehlungen würden Sie anderen Unternehmen geben, die die 4-Tage-Woche in Erwägung ziehen? Gibt es bewährte Praktiken, die Sie teilen könnten?
Das A und O beginnt eigentlich bereits in der umfassenden Vorbereitungs- und Planungsphase: Der Konzeptionsprozess sollte auf einer tiefgehenden Analyse der Arbeitssituationen aufbauen. Ist die 4-Tage-Woche überhaupt möglich? Wenn dies nicht 100%ig der Fall sein sollte, gibt es vielleicht alternative Arbeitszeitmodelle? Lassen die Tätigkeitsbereiche oder die Arbeitsumstände überhaupt eine Einführung zu? Wie bereits angesprochen, empfiehlt es sich alle Mitarbeitenden einzubinden.
Ausgehend davon konnten wir bei Riddle ein für uns funktionierendes System etablieren. Sicherlich bedarf es Kraftanstrengungen vonseiten der Unternehmensführung, die Umstrukturierung voranzutreiben. Ich kann an dieser Stelle es auch nur für meine Angestellten und mich sagen, dass sich diese Umstellung gelohnt hat.
Generell können wir aber bestätigen, was die großen Studien zur Implementierung der 4-Tage-Woche bereits feststellten: Das Arbeitsklima im Büro verbessert sich, die Krankentage gehen zurück und das Privatleben rückt in den Vordergrund. Das ganze Team profitiert von den nachhaltigen Entwicklungen. Mentale Gesundheit ist uns ein wichtiges Anliegen, daher wollten wir in Bezug auf die Work-Life-Balance diverse Ausgleichsmöglichkeiten schaffen. Wie schon erwähnt wird der zusätzliche „freie“ Tag bspw. für anderweitige Weiterbildungen genutzt. Ich kann vollends sagen, und das im Namen des gesamten Kollegiums, dass die Einführung unseres Arbeitszeitmodells sich auf allen Ebenen gelohnt hat.
Zum Schluss eine persönliche Frage: Als Geschäftsführer haben Sie eine große Verantwortung für das Unternehmen. Wie nutzen Sie persönlich die 4-Tage-Woche?
Prinzipiell halte auch ich mir den Freitag immer frei und lege mir bewusst keine Termine. Denn ich finde Work-Life-Balance und Zeit für meine Familie unabdingbar. Jedoch bin ich als Geschäftsführer erreichbar, gerade wenn Kunden ein Anliegen haben oder etwas anderes vorfallen sollte. In solchen Fällen kann ich mir jedoch mehr Zeit lassen und Angelegenheiten in Ruhe klären. Das ist, glaube ich, bereits viel wert.
Gerade im Vorstandsbereich ist die Zeit oft knapp und es kommen ständig neue Anfragen herein. Freitags komme ich ohne Termindruck einfach mal zum „Abarbeiten“ von To-Do‘s, die schon länger auf meinem Schreibtisch liegen, oder ich komme zum „Denken“. Ich kann mich allgemeinen Frage widmen: Wo steht Riddle aktuell? Was sind unsere Stärken oder Schwächen? Wie können wir das Unternehmen perspektivisch entwickeln? Auch wenn ich somit an meinen Freitagen nicht „frei“ habe, sind sie zumindest „slowed down“ und das schätze ich sehr.