Umweltschutz und Wirtschaft: Wo endet freie Marktwirtschaft? Druck von ganz oben

Umweltschutz und Wirtschaft

22000 Fahrzeuge mit einem Verkaufspreis, der erst bei 70000 Euro beginnt und sich je nach Ausstattung rasch in sechsstellige Bereiche steigern lässt. Eigentlich eine gute Marge für das deutsche Prestigeunternehmen aus Zuffenhausen. Doch leider bleiben diese Porsche Cayenne erst einmal auf dem Hof stehen. Der Grund: Unter ihren Hauben steckt der 3-Liter Turbodiesel-Motor, der vom VAG-Konzern zugeliefert wird und der aufgrund seiner „Betrugssoftware“ eine zentrale Rolle im Abgasskandal spielt. Es ist müßig, zu fragen, warum Verkehrsminister Dobrindt es nur auf die Porsches abgesehen hat, wo auch Fahrzeuge von VW und Audi mit dem gleichen Motor ausgerüstet werden. Man kann sich echauffieren, dass ein Staat so einseitig eingreift. Fakt ist aber: Die Wirtschaft muss bei der Balance auf dem Drahtseil zwischen Umwelthimmel und Profit-Abgrund Hilfe haben. Und warum deshalb freie Marktwirtschaft hier begrenzt sein muss, erklärt der folgende Kommentar.

An der kurzen Leine

Eine freie, unregulierte Wirtschaft, die ihre eigene ausgleichende Kraft darstellt. So sieht das Idealbild vieler Strategen aus und ist nebenbei in ihrem Extrem auch eine eigene politisch-philosophische Strömung namens Anarchokapitalismus. Und wirft man einen Blick auf sämtliche gesellschaftspolitischen Experimente, in denen der Staat die Wirtschaft entweder an der sehr kurzen Leine hielt oder gar ganz in sich aufgehen ließ, wirkt das Prinzip auch verlockend: 

- DDR

- Sowjetunion

- Kuba

- Vietnam

- Franco-Spanien

und eine ganze Reihe weiterer Staaten kannten bzw. kennen keine freie Marktwirtschaft und gingen (auch) deswegen unter bzw. spielen kaum eine Rolle. China, der Wirtschaftsgigant, wurde erst erfolgreich, als das Politbüro eine gewaltige Deregulierungskampagne lostrat. Und Venezuela, das eigentlich ob seines Ölreichtums ein wohlhabender Staat á la VAE sein müsste, zeigt gerade einmal mehr, dass ein Land untergeht, wenn der Staat die Zügel zu straff hält – die aktuellen Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes sind trauriges Zeugnis dafür.

Frei und unreguliert

Ist die freie Wirtschaft also das erstrebenswerte Ziel? Das könnte man glauben, leider ist jedoch auch dieses Extrem kein Idealziel. Denn wenn es um die Umwelt geht, zeigt sich, dass Regulierung leider nötig ist. Schauen wir auf den Rhein. 1970 war dieser Fluss praktisch tot. Der Grund: Vollkommen unregulierte Einleitungen aus Industriebetrieben. 1971 enthielt der Rhein 2000 Tonnen Blei. Noch 1985 war er mit 550 Tonnen belastet – zur Jahrtausendwende waren es nur noch 250. Warum? Weil der Staat den Unternehmen Regulierungsmaßnahmen auferlegt hatte. Doch auch der Gegenbeweis funktioniert: Denn auch in der DDR, wo die Wirtschaft verstaatlicht war, waren die Umweltschäden nicht minder schwer. Noch heute, fast 30 Jahre nach der Wende, stecken dort immer noch Gifte im Boden. 

Beide Staatsformen könnten unterschiedlicher nicht sein, doch in Sachen Umwelt und Wirtschaft kommen sie auf einen Nenner: In beiden Fällen hatte die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft Vorrang – in der „alten“ BRD aus Gründen einer möglichst freien Marktwirtschaft heraus, in der DDR um die angebliche Überlegenheit des eigenen Systems zu beweisen. Das Opfer war in beiden Fällen die Natur.

Wachstum und Umwelt

Warum wurde bei VW eine „Schummelsoftware“ implementiert? Das fragen sich Journalisten, Politiker und Bürger seit vielen Monaten. Die Antwort ist einfach: Weil es günstiger war, als die Ziele der Umweltauflagen auf ingenieurstechnischem Weg zu erreichen. Viele nehmen das Vorgehen in Schutz: Die Umweltziele seien zu hoch gesteckt. Manche sehen die Regularien gar als Fessel, mit der der deutschen Wirtschaft beim Kampf mit einem von solchen „Nebensächlichkeiten“ wenig behelligten globalisierten Gegner die  Hand auf den Rücken gebunden werde.

Das ist natürlich Unfug. Deutschland hat seit einigen Jahrzehnten mit die strengsten Umweltauflagen. Keine Nation, die in unserer Liga spielt, nimmt es mit dem Umweltschutz so genau wie wir. Jeder kleine mittelständische Betrieb mit mehr als 250 Mitarbeitern muss einen Audit absolvieren, bei dem der Betrieb in Sachen Umwelt und Energieverbräuche auf Herz und Nieren geprüft wird. Tut er das nicht, drohen saftige Strafzahlungen.

Jeder Autohersteller hat hier nicht nur einen maximalen Flottenverbrauch, den die Gesamtheit seiner verkauften Autos nicht überschreiten darf, sondern auch einen Flottenausstoß, der die Kohlendioxydemissionen in Grenzen halten soll. Auch hier sind die Strafen gewaltig.

Und trotzdem:

- liegt die BRD auf Platz vier der weltweit höchsten Bruttoinlandsprodukte

- ist Deutschland die wirtschaftliche Zugmaschine der EU

- hat die BRD den mit Abstand größten Exportüberschuss weltweit

- liegt Deutschland mit 284 Milliarden Dollar Handelsbilanzüberschuss nur hinter China (510Mrd.) und weit vor Russland (90Mrd.)

- Sind insgesamt 1000 deutsche Unternehmen in ihren jeweiligen Sparten Weltmarktführer

Allein diese fünf Punkte zeigen, dass das Argument, dass Umweltregularien Wachstum und Wirtschaft schaden würden, heiße Luft ist. Deutschland gehört in allen maßgeblichen Wirtschaftsbereichen mit zur Weltspitze – und das gegen Nationen, die teilweise weit mehr als das Doppelte unserer Einwohnerzahl haben, ein Vielfaches unserer Fläche und Umweltregulierungen nie in dem Maße implementierten wie wir.

Und obschon manche Auflagen freiwillige Verpflichtungen sind, ist der Großteil davon ein Produkt staatlichen Eingreifens entweder aus Berlin oder Brüssel. Der Beweis liegt in China. Dort ist an manchen Wirtschaftsstandorten die Umwelt so verdreckt, dass die Lebenserwartung der dort Lebenden dramatisch gesunken ist.

Die Sache mit der Freiwilligkeit

Und einmal mehr müssen die zwangsweise stillgelegten Porsche-SUVs als Beispiel herhalten. Denn nicht nur darin, sondern dem gesamten Abgasskandal sowie darüber hinaus auch den aktuellen Kartellanschuldigungen gegen die deutsche Auto-Industrie zeigt sich eines: Selbst nach so vielen Jahren der Regulierung, selbst nach schärfsten Kontrollen und nicht nur angedrohten, sondern auferlegten Strafzahlungen ist in der Industrie nach wie vor immer noch der Drang vorhanden, sich über Umweltauflagen hinwegzusetzen. Freiwilligkeit ist auch nach so langer Zeit immer noch nicht bis in die hintersten Manager-Etagen vorgedrungen.

Natürlich ist staatliches Eingreifen immer nur eine Verlegenheitslösung. Aber nur deshalb, weil die von der Wirtschaft ansonsten ergriffenen Maßnahmen nie so weit gingen – hier ist immer auch Angst mit im Spiel.

- 1984 verpflichtete der Bundestag die Autohersteller, Katalysatoren zu verbauen. Die Industrie wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie malte Szenarien von erhöhten Verbräuchen, gesenkten Leistungen, von Katalysatoren, die jährlich getauscht werden müssten. Schon die ersten Katalysatoren hielten ein ganzes Autoleben lang und seit dem Einführungsdatum klettern die Durchschnittsleistungen von in Deutschland verkauften Autos jährlich auf neue Rekordhöhen. Treppenwitz: der Bugatti Chiron, ein 1500PS-Monster, hat gar sechs der Abgasreiniger verbaut und erreicht trotzdem nach 13,6 Sekunden seine Höchstgeschwindigkeit von 420km/h (kein Tippfehler).

- Als die ersten AKW hierzulande gebaut wurden, weigerten sich die Betreiber, ein sogenanntes Containment darum zu errichten. Störfälle seien so unwahrscheinlich, dass die Millionen Tonnen Beton sinnlos vergossenes Geld und Material bedeuteten. Nur ein Machtwort der Bundesregierung brachte sie von ihrem Kurs ab. Der Super-GAU von Tschernobyl führte Jahre später der Welt vor Augen, was passiert, wenn kein Containment vorhanden ist. Die Sowjets hatten nur eine Wetterschutzhalle darüber errichtet – ein Containment sei für das geringe Risiko zu teuer, so ihr Argument.

Diese Liste ließe sich lange fortführen. Sie zeigt jedoch immer, dass es einer mit Maß regulierenden Regierung bedarf, damit die Industrie nicht nur Profite anvisiert, sondern auch die Umwelt. Beide Extreme sind falsch, sowohl absolute Deregulierung wie auch die ganz kurze Leine. Deutschland fährt seit Langem einen gesunden Mittelweg – und wir fahren gut damit, denn das beweisen die Zahlen mehr als eindeutig.

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