„Mit einer dialoglosen Stadt dürfen wir uns nicht zufriedengeben“
Interview mit Gründer und Gesellschafter der kister scheithauer gross architekten und stadtplaner GmbH
Wirtschaftsforum: Herr Professor Kister, von Sakralbauten über Wohngebäude bis hin zu Laboren und der Übernahme der gesamten Masterplanung bedient Ihr Architekturbüro ein äußerst breites inhaltliches Spektrum – ist das eher Fluch oder Segen?
Prof. Johannes Kister: Bestimmt beides zugleich – vor allem ist dieser Umstand aber aus unserer unternehmerischen Geschichte heraus zu interpretieren, die früher einen üblichen Berufsweg für junge ambitionierte Architekten darstellte: Während wir damals bei bekannten Kollegen unsere ersten Lehrjahre absolvierten, nahmen wir neben unseren Haupttätigkeiten an Wettbewerben teil, für die wir in den Abendstunden Projekte ausarbeiteten. Nach einigen erfolglosen Versuchen, die zum allgemeinen Reifeprozess natürlich dazugehören, klappte es dann schließlich mit einem ersten Platz und wir wurden mit der Errichtung eines Bezirksrathauses und einer U-Bahn-Station beauftragt – für uns junge Architekten natürlich ein großes Glück. Über diesen Königsweg der Wettbewerbe haben sich viele heute bekannte Kolleginnen einen Namen machen und so die Basis für ein eigenes erfolgreiches Architekturbüro legen können – die Zugangshürden für die Teilnahme waren damals eben noch erfreulich niedrig.
Wirtschaftsforum: Heute wäre ein solcher Werdegang nicht mehr möglich?
Prof. Johannes Kister: Damals konnte man für 50 DM an einem Wettbewerb teilnehmen und mit dem Elan des Unbelasteten Lösungsmöglichkeiten anbieten, auf die allzu routinierte Kolleg*innen gar nicht gekommen wären. Spätestens seit der Einführung der Europäischen Vergabeverordnung wird jedoch nicht mehr dieser offene Wettbewerb gefördert wie damals, sondern vielmehr ein Expertentum mit Referenzen erwartet – eine Entwicklung, der ich sehr kritisch gegenüberstehe. Will man heute bei einem Wettbewerb über die Gestaltung und Errichtung eines Feuerwehrhauses teilnehmen, muss man eigentlich schon drei solche Objekte gebaut haben. So kultiviert man hochspezialisierte Architektinnen für Kliniken, Industriegebäude und den Wohnungsbau, aber keine Generalisten mehr.
Wirtschaftsforum: Ermöglicht eine stärkere Spezialisierung aber nicht einen höheren Grad an Expertise und am Schluss auch ein besseres Ergebnis – gerade, wenn die architektonischen Herausforderungen immer komplexer werden?
Prof. Johannes Kister: Architektur ist kein Serienprodukt wie ein Auto, sondern ein Objekt, das an einem bestimmten Ort in einem bestimmten Kontext zu seiner Umgebung steht. Nirgendwo auf der Welt gibt es einen Ort, der ohne Bezüge ist – und diese Bezüge richtig lesen zu können, das ist eben die Kunst des Architekten. Dass sich eine Form aus der Funktion heraus entwickelt, ist aus meiner Sicht eine völlig falsche Vorstellung architektonischer Arbeit. Vielmehr wird die räumliche Ausprägung der Funktion vom städtebaulichen Argument inspiriert. Als Preisrichter bei Wettbewerben sehe ich oft, dass die städtebauliche Interpretation der Situation eine Inspiration für die eigentliche Funktion darstellt. In der Transformation der Funktionszusammenhänge, in einer dreidimensionalen räumlichen Erfahrung liegt die spezielle kompositorische Leistungsfähigkeit des Architekten – das macht ihn zum Baukünstler und darin unterscheidet er sich etwa von der Ingenieurin, die eine Maschine nach rein technologischen Gesichtspunkten zusammenbauen kann. Die Missachtung dieser Fähigkeiten, die sich im Wettbewerb messen lassen, führt dann dazu, dass unsere Städte bisweilen so aussehen wie sie eben aussehen – dann wird einfach nur etwas abstrakt geplant und errichtet, was am jeweiligen Ort keinen sinnvollen Bezug zur Umgebung herstellt. So entsteht aber letzten Endes eine völlig dialoglose Stadt. Damit sollten wir uns nicht zufrieden geben.
Wirtschaftsforum: Diese Überzeugung ist bis heute der zentrale Antrieb für Ihre Tätigkeit geblieben?
Prof. Johannes Kister: Mein architektonisches Wirken ist heute sicherlich stärker diesen großen Fragen gewidmet, weshalb ich mich mittlerweile auch in größerem Umfang in der Verbandsarbeit engagiere, um diesen Überzeugungen Gehör zu verschaffen. Denn gerade als erfahrener Architekt will ich mich dafür einsetzen, dass sich auch junge Kolleginnen ihre Sporen verdienen dürfen.
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