Dies ist die Geschichte der wohl groteskesten Übernahme aller Zeiten. Grotesk deswegen, da man sich fragen muss, was die Beteiligten damals wohl so gedacht haben - oder vielmehr, wie sie gerechnet haben. Anno 1999 wurde eine vier Jahre alte Firma übernommen, deren letzter verfügbarer Jahresumsatz 13,9 Millionen Dollar betrug. Der Kaufpreis für den Wunderschuppen lag jedoch bei stolzen 5.700 Millionen Dollar. Fünf Komma sieben MILLIARDEN US-Dollar. Hut ab. Was für eine dicke Kartoffel! Da müssen aber echte Vollblutbauern am Werk gewesen sein. Und ein genialer Verkäufer, der sich heute als Selfmade-Milliardär feiern lassen darf.
Was vor 14 Jahren knapp sechs Milliarden Dollar wert gewesen ist, verschwand schon wenig später wieder in der völligen Versenkung. Es handelte sich um die revolutionäre Idee des Live-Radios beziehungsweise Live-Fernsehens via Internet. So weit, so gut. Doch der damalige Übertragungsstandard hieß leider ISDN 128k, der Begriff des Streaming war noch nicht einmal erfunden. Trotzdem war broadcast.com den Käufern damals die genannte Rekordsumme wert. Diese Multi-Milliarden-Domain linkt uns noch heute in stillem Andenken zum Mutterkonzern Yahoo!, in dem sie aufgegangen ist. Mehr nicht. 5,7 Milliarden für einen unbekannten Link. Wow.
Wie gestandene T-Aktionäre heute wissen, hatte die New Economy Ende des vergangenen Milleniums einige Marktgesetze ausgehebelt. Als broadcast.com alias AudioNet 1998 an die Börse ging, sprang der Kurs am ersten Tag von 18 Dollar je Aktie hoch auf knapp 63 Dollar zum Handelsende. Diese fast 250 Prozent Performance am Tag der Erstnotiz sind bis heute ein unerreichter Weltrekord. Am Übernahmetag, dem 1. April 1999, wie ironisch, wurden 130 Dollar je Aktie bezahlt (also insgesamt mehr als 600 Prozent plus) und jeder Investor verdiente sich ein goldenes Näschen. Sechs Milliarden für eine hohle Riesenkartoffel sind deswegen aber längst noch nicht gerechtfertigt.
Zum Vergleich: Yahoo! zahlte damals rund 10.000 Dollar pro registrierten Nutzer von broadcast.com. Das sollte man einfach unkommentiert so stehen lassen. Im Oktober 2006 schluckte Google den heutigen Bewegtbild-Standard YouTube für 1,31 Milliarden Dollar.
Doch so irrational diese Geschichte auch sein mag, sie hatte definitiv ihre guten Seiten. Kettenbriefspezialist, broadcast.com-Verkäufer und Mitgründer Mark Cuban, der 1999 frisch geborene Zufallsmilliardär, gönnte sich am 4. Januar 2000 für läppische 285 Millionen Dollar ein NBA Franchise aus Dallas. Im Kader der Mavericks befand sich das bis heute größte europäische Basketball-Talent aller Zeiten. Der aus Würzburg stammende Power Forward erlangte für seinen Mäzen vorletztes Jahr in einer ähnlichen Märchenstory sogar die begehrte nordamerikanische Meisterschaft. Ob Dirk Nowitzki sich jemals nachträglich bei Yahoo! bedankte, ist leider nicht überliefert...
Felix Albus