Das müssen Unternehmer jetzt über das Entgelttransparenzgesetz wissen

Diese Änderungen greifen nicht nur in die Abläufe der jeweiligen Firmen ein, sondern fordern auch einen Wandel in ihrer Kultur. Während manche den neuen Anforderungen skeptisch gegenüberstehen, erkennen andere die Chance, Vertrauen und Fairness zu fördern. Klar ist: Stillstand ist keine Lösung.
Offenheit bei Gehältern - das fordert die EU
Die Entgelttransparenzrichtlinie verfolgt ein klares Ziel: Gleiche Bezahlung für gleiche oder gleichwertige Arbeit, unabhängig vom Geschlecht.
„Viele Unternehmen unterschätzen dabei, was auf sie zukommt“, erklärt Olaf Schaefer, Vorstand der HR Recruitment & Interim AG. Denn die Umsetzung der Richtlinie erfordert umfassende Vorbereitungen, beispielsweise:
● Aufbereitung von Daten: Die vorhandenen Gehaltsdaten müssen analysiert und auf Angaben geprüft werden, die notwendig sind, um den Anforderungen der Richtlinie zu entsprechen.
● Strukturen schaffen: Eine klare Einordnung von Stellen und Gehältern, oft als „Job-Architektur“ bezeichnet, ist mit der Umsetzung unerlässlich.
● Einsatz von Technologie: Unternehmen müssen gegebenenfalls in IT-Systeme investieren oder bestehende Systeme umrüsten, um diese Prozesse zu unterstützen und den Arbeitsaufwand im Gleichgewicht halten zu können.
● Regelungsbedarf angehen: Für einige Firmen stehen möglicherweise neue Betriebsvereinbarungen und Verhandlungen mit der Arbeitnehmervertretung an.
Der wohl größte Schritt für alle Unternehmen wird sein, sich intensiv mit ihren Gehaltsstrukturen und der Kommunikation darüber auseinanderzusetzen. Transparenz bedeutet, nicht lediglich Zahlen offenzulegen. Diese müssen für jeden Mitarbeitenden und zukünftigen Bewerbenden auch verständlich und nachvollziehbar sein.
Ein kultureller Umbruch - mehr als nur neue Vorschriften
Die Entgelttransparenzrichtlinie stellt mehr als nur eine weitere bürokratische Vorgabe dar. Sie fordert einen grundlegenden Wandel im Umgang mit Gehältern – vor allem in der Führungs- und Kommunikationskultur. Leitende Angestellte und Personalabteilungen müssen sich darauf einstellen, Gehaltsentscheidungen nachvollziehbar erklären zu können.
Fragen wie „Warum verdiene ich weniger als meine Kollegen?“ dürfen nicht mehr ignoriert werden. Stattdessen sind klare, sachliche und idealerweise motivierende Antworten gefragt. Fehlen solche Erläuterungen, drohen Unzufriedenheit, steigende Fluktuation innerhalb der Belegschaft oder sogar rechtliche Konsequenzen.
Der Wandel hin zu mehr Transparenz geht allerdings noch weiter. Unternehmen müssen neben dem offenen Umgang mit Gehaltsstrukturen auch ihre Herangehensweise in Bereichen wie Feedback, Leistungsbeurteilung und Personalentwicklung überdenken.
Gehaltstransparenz: Ein Trumpf im Wettstreit um Talente
Entgelttransparenz kann für Firmen ein klarer Wettbewerbsvorteil sein. Gerade angesichts des bestehenden Fachkräftemangels wird eine faire und offene Gehaltspolitik immer wichtiger. Sie stärkt das Vertrauen von Mitarbeitenden und Bewerbenden gleichermaßen und erhöht parallel die Attraktivität des Arbeitgebers.
Beispiele aus dem Ausland, etwa aus Großbritannien und Österreich, zeigen, dass Gehaltsoffenheit gut funktionieren kann und sogar zur Normalität wird. Doch ist die Umsetzung keinesfalls zu unterschätzen: Je nach Ausgangslage und Struktur eines Unternehmens kann der Aufwand erheblich sein.
„Unternehmen, die frühzeitig handeln, sichern sich klare Vorteile“, betont Olaf Schaefer. Wer zögert, riskiert, die gesetzlich vorgeschriebenen Maßnahmen zu spät umzusetzen und gleichzeitig den Anschluss im Wettbewerb um die besten Talente zu verlieren – was erhebliche Kosten nach sich ziehen kann.
Die vier Säulen zur erfolgreichen Einführung von Transparenz
Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie fordert von Unternehmen sowohl rechtliche und formale Änderungen als auch strategische Anpassungen. Diese betreffen Daten, Prozesse, IT-Systeme und die Firmenkultur. HR-Abteilungen übernehmen dabei eine zentrale Rolle. Vier Schwerpunkte sind entscheidend:
1. Säule: Daten und IT - die Basis schaffen
● Datenbereinigung: Gehaltsdaten müssen bereinigt und analysiert werden, um sicherzustellen, dass eine einheitliche Datenbasis besteht, die weitere Maßnahmen erst ermöglicht.
● Relevante Kriterien: Hierbei müssen für Analysen relevante Faktoren wie Gehalt, Geschlecht, Position, Standort und Erfahrung berücksichtigt werden.
● Zentrale Datenverwaltung etablieren: Dauerhaft sollte eine zentrale Datenverwaltung bestehen, um einmal mit eventuell großem Aufwand erreichte, hohe Datenqualität langfristig sicherzustellen
● Systeme: Es braucht den Einsatz spezieller HRIT-Systeme, um Stellen- und Vergütungsstrukturen abzubilden und auszuwerten.
„Ohne eine hochwertige Datenbasis und leistungsfähige HRIT-Systeme ist Transparenz nicht umsetzbar”, betont Olaf Schaefer. Gleichzeitig bilden die Daten die Grundlage für Berichte, die die Richtlinie von Unternehmen verlangt.
2. Säule: Change-Strategie - Akzeptanz sichern
Die Einführung von Gehaltstransparenz wird nicht überall auf Zustimmung stoßen. Besonders in Betrieben mit wenig regulierten Gehaltspraktiken ist mit Widerständen zu rechnen.
Eine mehrstufige Strategie auf verschiedenen Ebenen kann helfen, eine höhere Akzeptanz zu erreichen:
● Entscheidungsebene: Unternehmensleitungen und Führungskräfte müssen informiert und eingebunden werden, um Grundsatzentscheidungen zu treffen und den Wandel steuern.
● Umsetzungsebene: Projekte zur Anpassung von Datenstrukturen, Prozessen, Systemen und Betriebsvereinbarungen sind zu planen und durchzuführen.
● Dialogebene: Führungskräfte benötigen Schulungen, um Gehaltsthemen sicher zu kommunizieren und Mitarbeitende aktiv in den Prozess einzubeziehen.
3. Säule: Feedback und Bewertung - klare Maßstäbe setzen
Transparenz endet nicht bei Gehaltszahlen. Führungskräfte müssen unbedingt in der Lage sein, Leistung differenziert zu bewerten und die entsprechenden Beurteilungen nachvollziehbar zu kommunizieren.
Häufig mangelt es an einer klaren Feedback- und Bewertungspraxis. Entweder wird keine Rückmeldung gegeben oder diese nur so vage formuliert, dass sie keine Grundlage für Gehaltsentscheidungen bietet. Die Verantwortung dafür wird auch schon mal fälschlicherweise allein der Personalabteilung zugeschoben.
Ein Kritikpunkt, der Chancen bietet: Unternehmen sollten bestehende Tools wie Feedbackgespräche und Leistungsbewertungen besser intern vermarkten und konsequent nutzen. So können Mitarbeitende gezielter gefördert werden, was wiederum die Transparenz und Zufriedenheit stärkt.
4. Säule: Unternehmenskultur - Offenheit etablieren
Die wohl größte Herausforderung liegt im nachhaltigen kulturellen Wandel. Organisationen, die bisher wenig Wert auf Transparenz gelegt haben, müssen neue Kommunikations- und Führungsstandards setzen. Dazu gehören unter anderem:
● HR ist im „Lead“: Die Personalfunktion ist bei diesem Thema zwingend in der Verantwortung – in der fachlichen Projektleitung sowie für die Vorbereitung und Moderation des Change-Managements.
● Von oben vorleben: Eine neue Gehaltstransparenz glaubhaft vorzuleben braucht auch für die Führungsebene Training, konsequente Umsetzung und reflektiertes Lernen.
● Dialog führen: Workshops und Diskussionen unterstützen, um die Belegschaft zu der Thematik abzuholen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Wer frühzeitig beginnt, kann den Wandel rechtzeitig umsetzen und somit vor dem Fristablauf Überlastungen vor allem der HR-Organisation vermeiden. Gehaltstransparenz wird zwar zur rechtlichen Pflicht, aber gleichzeitig auch zur Grundlage für eine moderne und vertrauenswürdige Unternehmenskultur.
Transparenz am Wendepunkt: Chance oder Risiko?
Die neue Entgelttransparenzrichtlinie ist mehr als ein gesetzliches Muss – sie wird zum Prüfstein für Unternehmen. Organisationen, die zögerlich oder unvorbereitet reagieren, riskieren nicht nur Bußgelder, sondern auch einen langfristigen Imageschaden. Unzufriedene Mitarbeitende und sinkende Loyalität werden schnell zu einem Wettbewerbsnachteil im Kampf um die besten Talente.
„Unternehmen stehen an einem Scheideweg“, erklärt Olaf Schaefer. „Entweder sie nutzen die Chance, Offenheit und Fairness als Grundpfeiler ihrer Firmenkultur zu etablieren, oder sie laufen Gefahr, den Anschluss zu verlieren.“ Transparenz ist längst kein optionaler Zusatz mehr. Vielmehr handelt es sich um einen zentralen Baustein für Vertrauen und Attraktivität und ultimativ für optimierte Leistung und Ergebnisse.
Die Umsetzung der Richtlinie verlangt einen klaren Plan und entschlossenes Handeln. Der Zeitpunkt, die nötigen Schritte einzuleiten, ist jetzt – bevor andere den Wettbewerbsvorteil der Transparenz für sich nutzen.