Algen könnten eine Hauptnahrungsquelle für die Menschheit werden

Interview mit Willem Sodderland, Gründer und CEO von Seamore BV

Wirtschaftsforum: Die Mission Ihres Unternehmens ist es, Nahrungsmittel auf den neuesten Stand zu bringen – zunächst Pasta und Schinken –, indem einige Hauptzutaten durch Algen ersetzt werden. Wie möchten Sie die Leute davon überzeugen, dass Ihre Produkte genauso gut schmecken wie „normale“ Pasta und „normaler“ Schinken?

Willem Sodderland: Bei vielen Menschen ist die beste Art, sie zu überzeugen, sie es ausprobieren zu lassen. Blogger spielen eine wirklich wichtige Rolle dabei, Menschen zum Ausprobieren neuer Lebensmittel anzuregen. Wir arbeiten in jedem Land, in dem wir aktiv sind, mit Bloggern zusammen. Die Blogger schreiben darüber, wie unsere Produkte schmecken und was die Geschichte dahinter ist – und das ist eine wirklich gute Art, Menschen zu erreichen.

Wir zeigen den Leuten auch, was andere gern mit unseren Produkten kochen. Viele Menschen wissen nicht viel über Algen und haben daher keine Ahnung, wie sich damit etwas Leckeres zubereiten lässt. Zu zeigen, was unsere Kunden und Food Blogger mit unseren Produkten kreieren, überzeugt die Leute, dass Algen vielseitiger sind als sie denken. Und wenn sie sie als Bestandteil von Gerichten sehen, die sie gewohnt sind und in denen Algen eine Zutat ersetzen, sind viele überzeugt.

In kleinerem Umfang arbeiten wir auch mit Chefköchen zusammen und zeigen den Leuten, was sie damit machen. Das gibt dem Produkt eine – wie wir es nennen – ‚kulinarische Glaubwürdigkeit‘. Wir haben einen kleinen Dokumentarfilm mit einem Sternekoch in den Niederlanden gedreht, in dem er drei Gerichte kocht, die jeder auch zu Hause nachkochen kann.

Willem Sodderland
„Algen werden als das nährstoffreichste Lebensmittel der Welt angesehen.“ Willem Sodderland

Wirtschaftsforum: Der Ausdruck ‚Upgrade‘ wird normalerweise in der Bedeutung ‚etwas verbessern‘ verwendet und impliziert, dass die ‚normale‘ Nahrung, die wir täglich zu uns nehmen, in gewisser Weise unzulänglich ist. Was genau benötigt an der Art und Weise, wie wir Nahrungsmittel anbauen und sie verbrauchen, ein Upgrade?

Willem Sodderland: Der Nährwert vieler Lebensmittel ist sehr gering. In solchen, die stark industriell verarbeitetes Mehl enthalten, ist das eigentliche Korn – das immer noch ein ziemlich gesunder Bestandteil sein kann – zu ziemlich viel Zucker zermahlen. Der Nährwert vieler anderer Nahrungsmittel ist ebenfalls ziemlich niedrig. Sogar wenn Sie viel Obst und Gemüse zu sich nehmen, stammen diese Produkte für gewöhnlich aus Anbaugebieten, wo sie einfach nicht auf natürliche Weise in der Sonne reifen – und Forscher haben bewiesen, dass der Gehalt an Vitaminen und Mineralstoffen immer weiter zurückgeht. Ein großer Teil der Nahrung gibt dem Körper nicht, was er braucht. Algen hingegen werden als das nährstoffreichste Lebensmittel der Welt betrachtet, nicht nur, weil sie ein sehr umfangreiches Spektrum an Vitaminen und Mineralstoffen enthalten, sondern auch, weil sie reich an Mikronährstoffen wie beispielsweise Jod sind.

Ein anderer Grund ist Nachhaltigkeit. Bislang bezieht die Menschheit lediglich 2% aller Nahrung aus dem Meer, obwohl dieses 70% der Erdoberfläche ausmacht. Wenn wir uns aber weiterhin so vom Land ernähren, wie wir es heute tun, brauchen wir im Jahr 2050 vier Erden.

In Asien sind Algen wegen ihres Umami-Geschmacks, der Gerichten sehr viel Würze verleiht, ein wichtiger Bestandteil der Küche. Ich bin sicher, dass es zunächst die Vorteile in Bezug auf Nährwert und Nachhaltigkeit sein werden, die westliche Verbraucher dazu bringen, Algen zu essen, doch mehr und mehr werden auch sie herausfinden, was die Chefköche gerade entdecken: dass nämlich Algen sehr interessante kulinarische Vorzüge besitzen.

Willem Sodderland
„Wenn wir uns weiterhin so vom Land ernähren, wie wir es heute tun, brauchen wir im Jahr 2050 vier Erden.“ Willem Sodderland

Wirtschaftsforum: Auf Ihrer Webseite schreiben Sie, dass die von Ihnen verarbeiteten Algen in Zuchtanlagen angebaut werden. Wie bauen Sie ihr Produkt an und wie ernten Sie es? Gibt es Ähnlichkeiten zum ‚traditionellen‘ Anbau auf dem Land?

Willem Sodderland: Meiner Meinung nach wird die „Seagriculture“ letztendlich denselben Abläufen folgen, wie sie die Landwirtschaft kennt. Im Westen werden Algen meistens noch wild geerntet – eine Phase, in der sich die Landwirtschaft vor sehr, sehr langer Zeit befand. In Asien können Sie einen kleinen Eindruck davon bekommen, wohin wir steuern: 95% aller dortigen Algen stammen bereits aus Algenzuchten.

Verschiedene Algenarten vermehren sich auch auf unterschiedliche Weise. Es gibt also viele Wege, sie anzubauen. Für die einfachste Art reicht eigentlich eine kleine Menge Algen aus dem Meer, die an Netzen, Seilen oder Matten festgemacht und dann ins Meer zurückgebracht werden, wo sie sich vermehren. In Asien wird das in sehr großem Umfang betrieben, wobei Teilprozesse inzwischen automatisiert werden. So hat man dort beispielsweise etwas wie einen riesigen Rasenmäher, der an diesen sehr langen und ausgedehnten Reihen entlangfährt, wenn die Algen genügend gewachsen sind.

In Europa gibt es nach wie vor viel Wildernte, wobei die Algenfarmer ins Meer hineinwaten und die Algen per Hand pflücken oder schneiden, was ganz sicher sehr viel arbeitsintensiver und althergebracht ist. Es gibt auch Unternehmen, die die Algen in großen Salzwasserbecken und Containern an Land kultivieren.

Wirtschaftsforum: Was wird Seamore seinen Kunden zukünftig außer seinen Pasta- und Schinkenprodukten bieten?

Willem Sodderland: Wir haben mit Pasta und Schinken teils deshalb angefangen, weil es im Grunde genommen Rohprodukte sind. Sie bestehen rein aus Algen. Im Wesentlichen sind sie der Beweis für die Umsetzbarkeit des Konzepts – wir wollten zeigen, dass es möglich ist. Diese Produkte sind wirklich echt und auf Menschen ausgerichtet, die auf der Suche nach sehr gesunden, nachhaltigen und unverfälschten Nahrungsmitteln sind.

Wir wagen uns derzeit an ein Sortiment neuer Produkte, die wir ‚leicht‘ nennen – gegenüber denjenigen, die wir als ‚unverfälscht‘ bezeichnen. Das erste Produkt dieses Sortiments, das wir in dieser Woche präsentieren werden, ist ein Algen-Wrap, der im Wesentlichen naturbelassen ist und immer noch aus 50% Algen besteht. Um dieses Produkt herzustellen, mussten wir einen Weg finden, zumindest einen Teil des normalen Weizens im Teig zu ersetzen. Um herauszufinden wie das geht, haben uns mehr als sechs Monate gebraucht. Jetzt, wo wir das geschafft haben, sind wir in der Lage, Teig für Produkte mit einem sehr viel geringeren Prozentsatz an Weizen und Gluten und einem höheren an Vitaminen sowie Mineral- und Ballaststoffen herzustellen. Wir können diese Technik jetzt für die Fertigung vieler weiterer Produkte nutzen. Aus diesem Grund werden wir bald ein Algenbrot vorstellen, das etwa 50% Algen enthalten wird. Wir überlegen auch, Pasta in einer 50%-Variante anzubieten. Das würde den Zugang zu einer sogar noch größeren Zielgruppe eröffnen, denn der Preis würde sich verringern und es wäre weniger kompliziert im Hinblick darauf, dass sie sich viel leichter zubereiten lässt als die reine Algenpasta. Wir forschen im Moment auch an Algentee und wie er sich mit anderen Kräutern mischen lässt.

Willem Sodderland
„Das Großartige am Crowdfunding ist, dass man es selbst zeitlich planen kann. Es macht einen weniger abhängig von anderen Geldgebern wie Risikokapitalgesellschaften und stärkt so die eigene Verhandlungsposition.“ Willem Sodderland

Wirtschaftsforum: Derzeit bieten Sie die Gelegenheit zum Crowdfunding. Auf Ihrer Website kann man sich registrieren, um in ihr Unternehmen zu investieren. Warum haben Sie diese Methode gewählt, um an neue Geldmittel zu kommen?

Willem Sodderland: Wir sehen Crowdfunding nicht als Ersatz für traditionellere Arten der Finanzierung wie etwa Risikokapital. Tatsächlich verhandeln wir gerade mit einer Anzahl von Risikokapitalgesellschaften im Hinblick auf die umfangreichere und längerfristige Finanzierung unseres Unternehmens. Wir sind aus zwei Gründen vom Crowdfunding begeistert. Der eine ist, dass Crowdfunding uns viel mehr Kontrolle über den Finanzierungsprozess gibt, denn wenn man mit Risikokapitalgesellschaften verhandelt, folgt man im Wesentlichen ihrem Zeitrahmen: wann sie investieren möchten, wann sie die Überprüfung unseres Businessplans abgeschlossen haben. Das Großartige am Crowdfunding ist, dass man es selbst zeitlich planen kann. Es macht einen weniger abhängig von anderen Geldgebern wie Risikokapitalgesellschaften und stärkt so die eigene Verhandlungsposition.

Der zweite Grund ist, dass es sich bei den Crowdfundern um ein kleines, aber leidenschaftliches Herr von Menschen handelt, die alles daransetzen, Ihr Unternehmen durch Mundpropaganda und über andere Kanäle zu unterstützen. Wenn sie in eine Crowdfunding-Kampagne investieren, sind sie mehr als nur Verbraucher, sie werden zu Investoren, die etwas zurückbekommen möchten.

Willem Sodderland
„Wissenschaftler haben errechnet, dass sich in jedem Jahr genug Protein für die gesamte Weltbevölkerung erzeugen ließe, wenn Algen auf einem Gebiet von lediglich der doppelten Größe Portugals angebaut würden.“ Willem Sodderland

Wirtschaftsforum: Im Fokus der Mission ihres Unternehmens steht die Idee, dass der Verzehr von Algenprodukten statt „normaler“ Lebensmittel der Umwelt und unserem ganzen Planeten zugutekommt. Auf welche Weise tragen Algen Ihrer Ansicht nach dazu bei, und wird dieses Argument stark genug sein, um Algenprodukte als Lebensmittel im Alltag zu etablieren?

Willem Sodderland: Sicherlich werden wir sehen müssen, ob dieses Argument stark genug ist. Ich meine jedoch, dass es eine sehr schlüssige These ist, da immer mehr Menschen sich für Nahrungsmittel interessieren, die gleichermaßen sehr schmackhaft, gesund und nachhaltig sind. Die Tatsache, dass Algen aus demjenigen Element stammen, von dem es auf unserem Planeten am meisten gibt, ist sehr überzeugend, ebenso wie der Umstand, dass sie so nährstoffreich sind und in so vielen Gegenden Asiens als eine hauptsächliche Zutat verwendet werden. Das alles sind sehr gute Gründe, warum Algen auf der ganzen Welt eine Hauptnahrungsquelle werden können, besonders, wenn man in Betracht zieht, dass es momentan eine riesige Verlagerung von tierischem Protein hin zu grünem Protein – Pflanzen – gibt.

Wissenschaftler haben errechnet, dass sich in jedem Jahr genug Protein für die gesamte Weltbevölkerung erzeugen ließe, wenn Algen auf einem Gebiet von lediglich der doppelten Größe Portugals angebaut würden. Und dieses Gebiet ist nur ein winziger Teil der Gesamtfläche der Meere auf unserem Planeten. Jetzt brauchen wir genug Unternehmer, die das zu den Menschen tragen, genug Verbraucher, es auszuprobieren und ihre Begeisterung mit anderen zu teilen, und genug Förderung von Regierungen, Geldgebern und Investoren, um es auf den Weg zu bringen. Und diesbezüglich bin ich sehr optimistisch.

Interview: Julian Miller

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