Während kleine und mittlere Unternehmen in Europa brav ihre Steuern zahlen, streichen die international operierenden Konzerne satte Gewinne ein. Über ein weltweit verzweigtes Netz an Tochterunternehmen gelingt es europäischen Schwergewichten wie Volkswagen, IKEA oder Lufthansa, das meiste Kapital am heimischen Fiskus vorbei in Steueroasen zu schaffen.
Den Schaden, der den Mitgliedsstaaten pro Jahr durch Steuerflucht und -hinterziehung entsteht, schätzt die EU auf bis zu eine Billion Euro. Besonders ärgerlich dabei: Die Konzerne nutzen die Schlupflöcher, die durch den Steuerwettbewerb der EU-Länder untereinander entstanden sind, geschickt aus.
„Wenn die Basis der Steuereinkommen sehr klein ist, weil die großen Konzerne nicht zahlen, dann hast du ein Problem, dann musst du den Rest der Bevölkerung besteuern."
Beispiel Niederlande: Kaum jemand weiß, dass das Land eine der größten Steueroasen der Welt ist. So sind Zinseinnahmen, Beteiligungserträge und Lizenzgebühren in den meisten Fällen steuerfrei. Konzerne wie Volkswagen, Lufthansa und Co. wissen das und profitieren davon mithilfe dort angesiedelter Finanztöchter.
Wie viele solcher Steueroasen es weltweit gibt, darüber kann wegen ihrer Intransparenz nur spekuliert werden. Fest steht jedoch: Finanztöchter in den Niederlanden, Briefkastenfirmen im US-Bundesstaat Delaware oder Niederlassungen in der Karibik sind nur die Spitze des Eisbergs und einige von weltweit vielen Möglichkeiten, Gewinne herunterzurechnen und Steuern zu vermeiden.
Verständnis für Steuervermeidung von höchster politischer Ebene
Dass sich auch deutsche Konzerne diese Chancen nicht entgehen lassen, und dem Staat dadurch Milliarden Einnahmen entgehen, dafür zeigt ausgerechnet Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble Verständnis: „Jedes Unternehmen muss versuchen, die steuerlich günstigsten Möglichkeiten herauszukriegen. Wer multinational tätig ist, wird seine Steuerbelastung durch Verlagerung reduzieren. Das ist nicht illegal, sondern legal“, sagte Schäuble in einem ZDF-Interview.
Gleichzeitig sprach er sich bei den G20-Finanzministertreffen im Februar und Juli in Moskau ausdrücklich für einen Aktionsplan der OECD gegen Steuerflucht aus. Bei dem so genannten Country-by-country-Reporting sollen Unternehmen genau angeben, in welchem Land sie welche Gewinne machen und wie viel Steuern sie jeweils bezahlen. Ein wichtiger Schritt hin zu mehr Transparenz bei Unternehmensbilanzen, denn so kann sich jeder ausrechnen, wie viel Gewinne über Steueroasen abfließen.
Kritik am Country-by-country-Reporting
Doch dagegen stemmt sich das Bundeswirtschaftsministerium. Nach dem WDR vorliegenden geheimen Weisungen aus dem Ministerium heißt es: „Deutschland kann eine Erweiterung der länderbezogenen Berichtspflicht auf weitere Branchen wie Banken, Telekommunikation und Bau in keinem Fall mittragen.“ Der zuständige Minister Philipp Rösler äußerte sich dazu auf WDR-Anfrage und kritisierte das flächendeckende Country-by-country-Reporting als zusätzliche bürokratische Last für Unternehmen „ohne erkennbaren Nutzen“.
Dem widerspricht die OECD. Für Generalsekretär Angel Gurria sind die neuen Spielregeln für die internationalen Finanzströme vor dem Hintergrund der europäischen Schuldenkrise wichtiger denn je, wie er gegenüber dem ZDF betonte: "Heutzutage will jeder Staat sein Haushaltsdefizit reduzieren, jeder will Schulden abbauen, alle bemühen sich. Aber wenn die Basis der Steuereinkommen sehr klein ist, weil die großen Konzerne nicht zahlen, dann hast du ein Problem, dann musst du den Rest der Bevölkerung besteuern."
Weitere Informationen erhalten Sie in den zitierten Reportagen von ARD/WDR ("Steuerfrei - Wie Konzerne Europas Kassen plündern") und ZDF ("Flucht in die Karibik: Die Steuertricks der Konzerne").