Quo vadis, Kunststoffe?

Über Gegenwart und Zukunft der Materialien – nicht nur im Verpackungswesen

Kunststoff – der zu häufig verwendete Alleskönner

Im Prinzip bezeichnet Kunststoff oder künstlicher Stoff jeden Werkstoff, der erst durch eine komplexere (chemische) Umwandlung seiner Ausgangsstoffe entsteht. Hauptsächlich werden damit heute Duroplaste, Elastomere und Thermoplaste bezeichnet, die aus sogenannten Makromolekülen bestehen.

Prinzipiell können Kunststoffe sowohl auf Naturmaterialien basieren als auch synthetischen Ursprungs sein. In diesem Fall basieren die erzeugten Kunststoffe fast ausschließlich auf Erdöl beziehungsweise -Gas – bis heute die absolute Majorität.

Wann das globale Kunststoffzeitalter begann, darüber lässt sich diskutieren. Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden die wichtigsten theoretischen Vorarbeiten geleistet. Der erste synthetische Kunststoff wurde jedoch erst 1933 entwickelt – das bis heute extrem bedeutende und vielfältig einsetzbare Polyethylen (PE). Es kann bei korrekter Entsorgung sogar nachhaltig sein.

Dann allerdings erfolgte die Entwicklung in raschem Tempo: Über die folgenden zirka 25 Jahre wurden fast sämtliche heute bekannten Kunststoffe ersonnen. Ferner wurden industrielle Fertigungsverfahren für die zuvor nur unter Laborbedingungen herstellbaren Materialien erarbeitet.

Im Vergleich mit vielen anderen Stoffen war diese Zeitspanne extrem kurz. Der Grund dafür lässt sich in einer Kombination aus Kunststoff-Eigenschaften finden:

  • Da hauptsächlich Erdöl- und Gas als Ausgangsstoff herangezogen werden, gab es über lange Zeit hinweg enorme globale Reserven.
  • Es gibt verschiedene Arten der Polymerisation. Dadurch lassen sich ebenso verschiedenste Kunststoffe herstellen – alle zu verhältnismäßig niedrigen Preisen.
  • Ebenfalls aufgrund der verschiedenen Polymerisationstechniken können die technischen Eigenschaften von Kunststoffen (die an sich schon äußerst vielfältig sind) äußerst präzise justiert werden.

Anders formuliert: Kunststoffe waren und sind streckenweise die naheliegendste Alternative für viele zuvor verwendete Materialien. Vielfach wurde es sogar überhaupt erst möglich, bestimmte Dinge herzustellen, nachdem passende Kunststoffe entwickelt wurden – denken wir beispielsweise an Folien, medizinische Handschuhe, verschiedene Farben und Lacke oder Kunstfaserstoffe.

Warum die Welt abhängig von Kunststoffen wurde – und warum dies so gefährlich ist

Leicht zu beherrschende Herstellungsmethoden in Kombination mit in enormen Mengen vorhandenen Ausgangsmaterialien. Das ist die Basis, warum die Welt ins Kunststoffzeitalter voranschritt. Die weiteren Gründe liegen jedoch in den technischen Eigenschaften:

  • Niedrige Wärme- und elektrische Leitfähigkeit.
  • Relativ geringe Verarbeitungstemperaturen.
  • Verschiedenste und simple Möglichkeiten zur Umwandlung in Halbzeuge und Fertigprodukte.
  • Geringe Dichte, damit ein geringes Gewicht, bei gleichzeitig hoher Festigkeit, Zähigkeit und Steifigkeit.
  • Niedrige Reaktionsfreude, dadurch eine hohe Beständigkeit gegen zahlreiche andere Stoffe in Verbindung mit einer leichten Reinigung/Sterilisation.

Kunststoffe können bei ungleich niedrigerem Gewicht ähnlich stabil sein wie Metalle – weshalb sie unter anderem im Flugzeug- und Fahrzeugbau seit einigen Jahrzehnten immer stärker Verwendung finden. Gleichzeitig sind viele Kunststoffe inhärent hygienisch und können diese Tatsache aufgrund ihres geringen Preises durch Einmalnutzungen noch verstärken – etwa bei Einwegspritzen.

All diese Tatsachen machten die Welt jedoch buchstäblich abhängig von Kunststoffen. Zwischen 1950 und 2015 wurden fast 8,5 Milliarden Tonnen Kunststoffe produziert. Etwa die Hälfte davon wurde jedoch erst nach der Jahrtausendwende fabriziert und bis dato keine zehn Prozent aller jemals gefertigten Kunststoffe recycelt – und es ist mittlerweile leichter geworden, solche Orte zu nennen, an denen sich kein Mikroplastik mehr findet als es umgekehrt der Fall ist. Dadurch werden verschiedene Nachteile übergroß und andere erst hervorgebracht:

  • Es wird zu viel Kunststoff für Anwendungen genutzt, bei denen er prinzipiell nicht nötig wäre oder es ähnlich taugliche Alternativen gäbe.
  • Kunststoffe werden als wenig wertig angesehen, was die Bereitschaft zum Wegwerfen erhöht.
  • Der eigentlich vergleichsweise(!) geringe Energieverbrauch bei der Kunststoffherstellung wird aufgrund der schieren Masse zu einem Problem.
  • Es werden mehr Erdöl und -gas gefördert als eigentlich (= für andere Anwendungen) nötig – mit allen daraus entstehenden Problemen.
  • Mikroplastik entsteht, gelangt in Nahrungsketten und wirkt dort unter anderem durch (pseudo-)hormonelle Eigenschaften verheerend.

Auf zwei Sätze heruntergebrochen: Es ist nicht die Tatsache, dass die Menschheit Kunststoffe verwendet. Es ist die Tatsache, dass die Menschheit Kunststoffe aus fossilen Ausgangsmaterialien in derart inflationären Mengen verwendet und diese nur zu geringen Mengen recycelt. Damit wurden bereits wichtige Baustellen für die Zukunft dieser Materialien aufgezeigt.

Kunststoffzukunft I: Weg von Einweg

In der EU sind verschiedene Einwegprodukte aus Kunststoffen bereits seit 2021 verboten oder kennzeichnungspflichtig – beispielsweise Trinkhalme und To-Go-Trinkbecher. Unter anderem Großbritannien befindet sich aktuell (Anfang 2023) auf einem ähnlichen Weg – so wie es viele andere Staaten ebenfalls tun.

Grundsätzlich bewegt sich die Welt mit hohem Tempo weg von (Endverbraucher-)Einwegprodukten aus Kunststoff. Denn hier ist es typischerweise nicht nur besonders leicht, staatliche Regularien aufzustellen, sondern kann rein mengenmäßig viel bewirkt werden, ohne allzu große Nachteile zu verursachen.

Nebenbei entspricht ein weitgehendes Ende von Einwegkunststoffen viel eher den leistungsstarken Charakteristiken vieler dieser Materialien. Sie sind widerstandsfähig, äußerst langlebig und resistent gegen verschiedenste Umwelteinflüsse. Sie für vielleicht nur Minuten zu benutzen und dann zu entsorgen ist tatsächlich eine überflüssige Verschwendung.

Dabei muss jedoch unterschieden werden. Wir sprechen hier vornehmlich von Produkten für den Endverbraucher. Gerade im medizinischen Bereich wird jedoch der geringe Preis in Verbindung mit der hohen Hygiene weiterhin für eine Nutzung von Einwegkunststoffen sorgen – wogegen nicht einmal schärfste Kritiker Einwände vorbringen.

Kunststoffzukunft II: Deutlich größere Recyclingraten

Was den ersten Schritt eines Recyclings von Kunststoffen anbelangt, ist Deutschland durch die Sammlung in Wertstofftonnen eigentlich vorbildlich. Hier wie anderswo fehlt es jedoch bislang weitgehend an tragfähigen Konzepten für die weiteren Stufen des Recyclings – also zurück zu Kunststoffgranulaten oder -fäden, die ihrerseits wieder zu neuen Produkten gemacht werden.

Viel Plastikmüll wird schlicht exportiert und landet somit oftmals in Regionen, in denen noch weniger recycelt wird – ein Großteil des Kunststoffmülls in den Weltmeeren geht auf diese Praxis zurück.

Nicht zuletzt deshalb, weil es in den kommenden Jahrzehnten immer aufwendiger und somit kostspieliger wird, die verbliebenen Öl- und Gasreserven des Planeten zu explorieren, wird zudem der Kostendruck immer weiter steigen.

Wo heute viele Kunststoffe hauptsächlich deshalb nicht recycelt werden, weil es günstiger ist, neue herzustellen, wird sich dieses Modell selbst ohne staatliche Eingriffe mittelfristig wandeln – und werden gleichsam mehr Wege eruiert, durch die selbst Misch- und ähnliche „Problemkunststoffe“ wieder zu reinen Ausgangsstoffen werden können. Zudem wurden in den vergangenen Jahren (Mikro-)Organismen entdeckt, die verschiedene traditionelle Kunststoffe zersetzen können.

Bereits jetzt sieht man die Auswirkungen: 2021 reduzierte Deutschland seinen Kunststoffmüllexport um ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr. Gleichfalls stieg nicht nur die europäische Fertigung recycelter Kunststoffe erneut an, sondern machte vor allem etwas anderes einen bemerkenswerten Sprung in Sachen Herstellungsmengen:

Kunststoffzukunft III: Nachhaltigere Alternativen

Kunststoffe waren und sind ein marktwirtschaftliches Produkt wie jedes andere. Dadurch setzten sich diejenigen Materialien durch, die die gewünschten Anforderungen zum geringsten Preis erfüllen konnten – was durch die enorme Verfügbarkeit von fossilen Ausgangsstoffen die Forschung im Bereich alternativer Kunststoffe merklich hemmte.

Diese Zeiten sind jedoch schon seit längerem vorbei. Seitdem sich in den 1970ern ein breitgesellschaftliches Umweltbewusstsein zu etablieren begann, wurden herkömmliche Kunststoffe als ein bedeutender Problemfaktor identifiziert. Damit wurde eine wichtige Ausgangsbasis zur Entwicklung von Alternativen geschaffen: Kunststoffe, die zwar ebenso „künstlich“ sind, die jedoch auf deutlich weniger problematischen Grundstoffen und Herstellungsmethoden fußen.

Damit wären wir im Bereich der Bio-Kunststoffe. Materialien, die auf sogenannten Bio-Polymeren basieren. Dadurch sind solche Kunststoffe wahlweise schon von sich aus ein umgewandeltes Naturprodukt (etwa, weil sie auf Milchsäure basieren) oder weil sie am Ende ihres Lebens biologisch abbaubar sind.

Nach Ansicht vieler Experten ist das die langfristig bedeutendste Stoßrichtung für Kunststoffe: Wie bereits angesprochen, ist es, etwa im Bereich der Medizin oder bei elektrischen Isolatoren, kaum möglich, Kunststoffe zu ersetzen – wenigstens nicht in den benötigten Mengen. Langfristig dürfte ein Großteil all dieser Aufgabenbereiche von Kunststoffen übernommen werden, die entweder nicht fossilen Ursprungs sind oder sich durch den Kontakt mit entsprechenden Mikroorganismen in biologisch nicht gefährliche Bestandteile zerlegen lassen – sofern sie nicht von vornherein problemlos rezykliert werden können.

Kunststoffzukunft IV: Mehr Kunststoff, als mancher glaubt

Viele Aktivisten zeichnen ein Bild von einer künftigen Welt, die mit deutlich weniger Kunststoff auskommt als es bislang der Fall ist. Tatsächlich dürften diese Vorhersagen jedoch in weiten Teilen nicht der Wahrheit entsprechen:

  • Wahr ist, dass Konsumenten deutlich weniger Einweg- und generell „überflüssige“ Kunststoffe nutzen werden.
  • Wahr ist ebenfalls, dass weniger traditionelle Kunststoffe Verwendung finden.

Speziell jedoch mit weiteren Entwicklungen von Biokunststoffen dürfte sich die Gesamtmenge nicht dramatisch reduzieren. Denn im Vergleich mit vielen anderen Materialien können Kunststoffe mit deutlich geringerem Energieaufwand produziert und umgeformt werden.

Ferner ist gerade die Kombination aus geringem Gewicht bei großer Stabilität eine ideale Ausgangsvoraussetzung, um zahlreiche Problemstellungen anzugehen – beispielsweise die Gewichtsreduktion von Fahrzeugen zwecks Reduzierung ihres Energieverbrauchs bei gleichzeitigem Erhalt der Stabilität und Sicherheit.

Ja, das Kunststoffzeitalter tritt derzeit in eine neue Phase ein. Enden wird es jedoch auf absehbare Zeit sicherlich nicht – eher ist das Gegenteil der Fall. Nachteile für Umwelt, Klima und Natur werden daraus jedoch nicht entstehen. Dafür steht der Wandel in der bisherigen Herangehensweise.

Tags
Nach themenverwandten Beiträgen filtern

Aktuellste news

Robo Dog trifft XR,  Realität im Test

Robo Dog trifft XR, Realität im Test

Wie könnten Roboter künftig auf virtuelle Objekte reagieren? Das Visoric-Team beschäftigt sich intensiv mit der Frage, wie XR und KI-gesteuerte Robotik in Zukunft zusammenspielen können – etwa in…

Technologie erleben, Zukunft gestalten

Technologie erleben, Zukunft gestalten

Visoric und andere Tech-Pioniere zeigten beim Festival der Zukunft im Deutschen Museum, wie immersiv und zugänglich Spitzentechnologie heute sein kann. Mit einer XR-Demo zur industriellen Montage, interaktiven Robotik-Erlebnissen und KI…

70 Marken, 95 Länder, eine Mission

Interview mit Alessandro Vella, General Manager der IWB Italia S.p.A.

70 Marken, 95 Länder, eine Mission

Italienischer Wein ist weltweit ein Exportschlager – und daran hat die IWB Italia S.p.A. mit Sitz im idyllischen Calmasino di Bardolino bedeutenden Anteil. Das Unternehmen vereint eine Vielzahl bekannter Marken…

Aktuellste Interviews

Lebensqualität und gute Sicht

Interview mit Domenic von Planta, CEO der SCHWIND eye-tech-solutions GmbH

Lebensqualität und gute Sicht

„Better Quality of life for patients“ lautet die Vision der SCHWIND eye-tech-solutions GmbH in Kleinostheim. Mit seinen Lasersystemen für die refraktive Augenchirurgie setzt das Unternehmen seit über 30 Jahren immer…

Mit Radiopharmaka Leben verbessern

Interview mit Jens Junker, CEO der ROTOP Pharmaka GmbH

Mit Radiopharmaka Leben verbessern

Am Standort der ROTOP Pharmaka GmbH in Dresden wird bereits seit 1958 im Bereich der Nuklearmedizin geforscht. Heute produziert das Unternehmen Pharmazeutika für die nuklearmedizinische Diagnostik, unter anderem im Bereich…

„Weinbautradition bewahren und weiterentwickeln“

Interview mit Markus Nordhorn, Geschäftsführer der Weingut Hammel GmbH

„Weinbautradition bewahren und weiterentwickeln“

Seit über 300 Jahren steht das Weingut Hammel aus der Pfalz für erstklassige Weine, starke Marken und gelebte Familientradition. Heute zählt die Weingut Hammel GmbH zu den bekanntesten Abfüllbetrieben der…

TOP