Neue Ansätze zur Behandlung chronischer Schmerzen: zwischen Tradition und Innovation

Gleichzeitig ist das Leid der Betroffenen kaum fassbar. Schmerz ist subjektiv, schwer messbar und in vielen Fällen mit psychischen Belastungen wie Depressionen und Angststörungen verbunden.

Angesichts dieser Probleme gewinnen moderne und evidenzbasierte Therapieansätze immer mehr an Bedeutung. Zwischen bewährten Methoden und innovativen Lösungen findet gerade ein spannender Paradigmenwechsel statt.

Chronischer Schmerz als Systemproblem

Die Medizin unterscheidet zwischen akutem und chronischem Schmerz. Während akute Schmerzen eine klare Ursache haben (etwa eine Verletzung), gelten Schmerzen als chronisch, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauern. Dabei entwickelt sich oft ein sogenanntes Schmerzgedächtnis: Das Nervensystem reagiert überempfindlich, auch wenn es keinen erkennbaren Auslöser gibt.

Für die Medizin stellen chronische Schmerzen ein komplexes Problem dar. Oft sind mehrere Fachrichtungen wie Orthopädie, Neurologie, Psychosomatik und Schmerzmedizin beteiligt. Dazu kommen lange Wartezeiten auf spezialisierte Therapien und viele Fehldiagnosen. Viele Patienten erleben einen jahrelangen Leidensweg mit wechselnden Ärzten und Therapieversuchen.

Goldstandard multimodale Schmerztherapie

Ein evidenzbasierter und zunehmend anerkannter Weg ist die sogenannte multimodale Schmerztherapie. Dabei handelt es sich um einen integrativen Ansatz, bei dem verschiedene Fachdisziplinen zusammenarbeiten, etwa Mediziner, Physiotherapeuten, Psychologen und Ergotherapeuten. Verschiedene Fachleute behandeln dabei gemeinsam die körperlichen, psychischen und sozialen Aspekte der Schmerzen.

Studien zeigen, dass dieses Modell besonders effektiv bei chronischen Rückenschmerzen sein kann. In spezialisierten Schmerzkliniken werden die Patienten typischerweise über mehrere Wochen betreut. Das Ziel dabei ist nicht nur, den Schmerz zu lindern, sondern den Umgang damit zu verbessern, etwa durch gezielte Bewegung, kognitive Verhaltenstherapie und Entspannungsverfahren.

Die Rolle der Opioide

Lange Zeit galten Opioide als letzte Hoffnung bei chronischen Schmerzen. Sie wirken stark schmerzlindernd, indem sie bestimmte Rezeptoren im Gehirn blockieren. Doch der Boom der Opioid-Verschreibungen (die Opioidkrise in den USA ist das beste Beispiel dafür) hat auch Schattenseiten wie Abhängigkeit, Toleranzentwicklung und gefährliche Nebenwirkungen gezeigt.

In Deutschland sind Opioide strenger reguliert, aber auch hier steigt ihr Einsatz seit Jahren an, besonders bei der Behandlung älterer Menschen. Die aktuelle Leitlinie für die Schmerzbehandlung empfiehlt Opioide nur in ausgewählten Fällen, etwa bei Tumorschmerzen oder klar definierten chronischen Schmerzen, wenn andere Methoden versagt haben.

Die Renaissance der Physiotherapie

Entgegen der früheren Empfehlung, sich bei Schmerzen zu schonen, weiß man heute, dass Bewegung auch bei chronischen Schmerzen hilft. Gezielt eingesetzte Physiotherapie kann Muskeln aufbauen, Beweglichkeit fördern und Schmerzen langfristig reduzieren. Wichtig ist dabei ein auf die individuelle Schmerzsituation zugeschnittenes Programm.

Moderne Konzepte wie die Aktivierende Schmerztherapie setzen auf Motivation, Selbstwirksamkeit und Alltagstraining. Auch onlinebasierte Bewegungsprogramme über Apps gewinnen an Bedeutung, vor allem für Menschen mit eingeschränkter Mobilität oder abgelegenen Wohnorten.

Alternative und komplementäre Verfahren

Methoden wie Akupunktur, Chiropraktik, Meditation, Yoga oder Achtsamkeitstraining erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Die Wirksamkeit dieser Ansätze ist unterschiedlich gut belegt. Akupunktur konnte in Studien zu Rückenschmerzen und Arthrose überzeugende Ergebnisse zeigen. Auch Achtsamkeitstrainings und Meditation können helfen, das Schmerzempfinden zu reduzieren und mit chronischen Schmerzen besser umzugehen.

Die subjektive Erfahrung der Patienten ist dabei immer ein wichtiger Faktor. Wer sich in seiner Therapie ernst genommen fühlt und sich aktiv beteiligen kann, erlebt oft eine stärkere Besserung. Deshalb setzen viele moderne Schmerzzentren heute auf Elemente der integrativen Medizin.

Digitale Helfer

Der Einsatz von digitalen Technologien bietet neue Möglichkeiten in der Schmerztherapie. Wearables wie smarte Armbänder oder Bewegungssensoren können körperliche Aktivitäten erfassen und Rückmeldung geben.

Schmerz-Apps bieten Tagebuchfunktionen, Achtsamkeitsübungen oder personalisierte Bewegungseinheiten. Vor allem für junge Menschen oder Patienten im ländlichen Raum ist das eine vielversprechende Ergänzung zur klassischen Therapie.

Auch die Telemedizin hat sich in der Schmerzbehandlung bewährt. Videogestützte Psychotherapie oder physiotherapeutische Anleitung per Livestream ermöglichen eine kontinuierliche Betreuung ohne lange Anfahrtswege.

Cannabis in der Schmerztherapie

Ein Thema, das in den letzten Jahren kontrovers diskutiert wurde, ist der medizinische Einsatz von Cannabis. Seit 2017 ist medizinisches Cannabis in Deutschland unter bestimmten Voraussetzungen verschreibungsfähig, etwa bei chronischen Schmerzen, Multipler Sklerose oder Krebserkrankungen.

Die Wirkung von Cannabis auf Schmerzen ist gut dokumentiert, auch wenn sie individuell sehr unterschiedlich ausfallen kann. Besonders bei neuropathischen Schmerzen (etwa nach Nervenschädigungen) berichten viele Patienten von einer signifikanten Besserung. Schlafstörungen und Muskelkrämpfe lassen sich ebenfalls gut lindern.

Gleichzeitig ist Cannabis kein Wundermittel. Es wirkt nicht bei allen Schmerzarten gleich gut und kann Nebenwirkungen wie Schwindel, Konzentrationsstörungen oder Abhängigkeiten mit sich bringen. Zudem ist die ärztliche Verschreibung aufwändig, die Kostenübernahme durch die Krankenkasse nicht garantiert und die Verfügbarkeit in Apotheken eingeschränkt.

Dennoch eröffnet Cannabis neue therapeutische Spielräume für Menschen, die auf klassische Schmerzmittel schlecht ansprechen. Vor allem als Begleittherapie in Kombination mit Physiotherapie oder Psychotherapie wird medizinisches Cannabis immer beliebter.

Zusammenfassung: Individuelle Lösungen statt Patentrezepte

Die Behandlung chronischer Schmerzen steht heute an einem Wendepunkt. Während frühere Ansätze oft rein medikamentös geprägt waren, setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass ein ganzheitlicher und individueller Therapieplan notwendig ist. Was dem einen hilft, bleibt beim anderen wirkungslos.

Die moderne Schmerzmedizin setzt deshalb auf eine Kombination verschiedener evidenzbasierter Methoden, die auf die individuellen Bedürfnisse abgestimmt werden. Zu den verwendeten Methoden gehören heute Bewegung, psychologische Unterstützung, neue Medikamente, digitale Tools und pflanzliche Heilmittel.

Unternehmen und politische Entscheidungsträger sind heute gefordert, mehr spezialisierte Angebote zu schaffen, Ausbildungen zu modernisieren und die flächendeckende Versorgung mit Schmerztherapien zu verbessern, um den vielen von chronischen Schmerzen Betroffenen mehr Lebensqualität und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen.

Quellen:

https://www.schmerzgesellschaft.de/patienteninformationen/herausforderung-schmerz/chronische-schmerzen

https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9156493/

https://www.schmerzgesellschaft.de/topnavi/patienteninformationen/leitlinien-zur-schmerzbehandlung

https://praxistipps.chip.de/schmerztagebuch-diese-4-apps-sind-empfehlenswert_121008

https://www.doktorabc.com/de/allgemeine-medizin/medizinisches-cannabis/therapie

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