Manuelle Vorgehensweisen – die altmodische Art nicht nur als Fallback-Ebene gegen digitale Störungen
Alte Schule – aber nicht veraltet
Wer heute etwa 25, 30 Euro ausgibt, der bekommt für dieses Geld einen wissenschaftlichen Taschenrechner, der garantiert keine Wünsche mehr offenlässt. Ein Gerät, das selbst die Funktionen höherer Mathematik beherrscht und sich dazu noch in einer „natürlichen“ Weise bedienen und ablesen lässt – etwa mit Brüchen, die wie auf Papier übereinandergeschrieben werden. Mehr noch: Als App gäbe es einen solchen leistungsfähigen Rechner sogar zum kostenlosen Download auf jedes Handy, jede Smartwatch.
Dennoch darf sich der geneigte Leser die Frage stellen, warum es keine einzige Schule in Deutschland gibt, die
1. nicht primär manuelle Berechnungsarten vermittelt und komplett niedergeschriebene Rechenwege in Prüfungen einfordert und
2. eine Benutzung solcher Rechner nicht auf höhere Klassenstufen limitiert und sie selbst dann nur in engen Grenzen als Hilfsmittel gestattet. In Schleswig-Holstein etwa dürfen sie erst ab der siebten Klasse genutzt werden. Zudem existiert für jedes Bundesland eine eigene Liste von zur Abiturprüfung zugelassenen Geräten.
Mancher mag vielleicht geneigt sein, dies als Seitenhieb auf das deutsche Schulsystem zu verstehen. Es geht jedoch tatsächlich um denselben Hintergrund, um den sich der Sinn dieses Artikels dreht: Für ein tieferes Verständnis ist es unbedingt sinnvoll, sowohl die dahinterstehenden Grundlagen zu kennen als auch deren praktische Anwendung jenseits von moderner Technik.
Natürlich, in keiner Buchhaltungsabteilung kann man von den Mitarbeitern realistisch erwarten, Kosten mit einem Abakus zu addieren oder Brüche auf dem Papier zu multiplizieren. Ebenso wenig wird beispielsweise ein Schreinerbetrieb im Alltagsbetrieb Winkel mit einem Gliedermessstab messen, selbst wenn diese manuelle Herangehensweise verblüffend simpel ist. Dafür gibt es schlichtweg spezialisierte, mitunter digitale und/oder maschinell integrierte Messgeräte.
Doch egal, welches Beispiel man bemüht: Ähnlich wie in der Schule ist es im unternehmerischen Kontext immer sinnvoll, derartige Alternativ- oder „Oldschool“-Methoden a) zu kennen und b) praktisch anwenden zu können. Dafür gibt es gute Gründe.
1. Ein tieferes Hintergrundverständnis
Dieser Punkt lässt sich im Wirtschaftsleben noch am ehesten mit den Gründen für das schulische Vermitteln solcher Vorgehensweisen vergleichen: Digitale Systeme, komplizierte Geräte zwischen Beleg-Erfassungs-Software und selbstaustarierendem 3D-Baustellenlaser liefern praktisch immer nur Resultate. Gut, auf diese kommt es im Arbeitsleben primär an. Dennoch sollten alle Mitarbeiter die manuellen Hintergründe und -Vorgehensweisen kennen, wenigstens in Grundzügen. Denn damit einher geht automatisch ein Verständnis für das „Wie“ hinter der Arbeitsweise der Geräte.
Erst durch solch ein Wissen wird ein Mensch nicht nur zum bloß benutzenden „Anwender“ derartiger Systeme, sondern zum deutlich besser befähigten „Bediener“. Nach wie vor erledigen die Geräte die Hauptarbeit. Indem der Mensch dahinter jedoch weiß, auf welchen Grundlagen das geschieht, kann er nicht zuletzt überprüfen, ob alles stimmt, was die Schaltkreise behaupten.
Das ist insbesondere für jüngere Generationen von Teammitgliedern wichtig. Denn gerade diese wurden oftmals nicht mehr mit den alten Methoden vertraut gemacht, weder in der Berufsschule noch im universitären Hörsaal. Daher fehlt dort oftmals sowohl das Verständnis für besagtes „Wie“ als auch jegliche Fähigkeit zu alternativen Herangehensweisen.
2. Verminderte Notwendigkeit zu Maschinenvertrauen
Mit modernsten Techniken zu arbeiten, die es mitunter nicht einmal mehr erfordern, irgendwelche Daten einzugeben oder Einstellungen vorzunehmen, ist komfortabel. Aber es macht auch angreifbar. Denn letztlich liefert man sich dadurch zwei Akteuren aus:
1. Denjenigen, die das Gerät designt und gebaut haben.
2. Der ständigen korrekten Funktionsfähigkeit des Geräts.
Nun darf man zwar gerade bei Systemen für einen kommerziellen Einsatz davon ausgehen, dass beides grundsätzlich korrekt ist. Doch was, wenn nicht – etwa durch einen Schaden?
Nehmen wir als Beispiel einen digitalen, laserbasierten Mehrachsen-Distanzmesser, wie er in zahlreichen Handwerksbetrieben und Industriehallen zur täglichen Arbeit gehört. Fraglos ein millimetergenaues Gerät. Bloß: Was, wenn es beispielsweise eine Fläche von 31 Quadratmetern in einem Raum anzeigt, obwohl die offensichtliche Fläche durch die Distanz der Wände zueinander keinesfalls mehr als die Hälfte betragen kann?
Jemand, der nie manuell Raumtiefe und -breite ausmisst und die Ergebnisse multipliziert, hätte jetzt ein doppeltes Problem:
1. Durch das zu große Vertrauen in die Technik würde er vielleicht nicht einmal erkennen, dass der Wert überhaupt falsch ist. Ihm fehlt schlicht das aus manuellem Messen und Berechnen entstehende Gespür, um eine Fläche wenigstens grob einschätzen zu können.
2. Er wüsste mitunter nicht einmal, wie er sich jetzt mit einem Maßband und Kopfrechnen behelfen könnte, um dennoch den korrekten Wert herauszufinden.
Zugegeben, ein mit Absicht recht extremes Beispiel. Dadurch jedoch leicht verständlich: Klassische Methoden zu kennen, hat also auch viel damit zu tun, in seinem Feld insgesamt fähiger und vor allem unabhängiger zu sein zu sein.
3. Arbeitsfähigkeit unter erschwerten Bedingungen
Keine Software, keine Maschine, kein System ist vollkommen frei von Ausfallgefahren. Das weiß jeder Unternehmer aus eigener Erfahrung. Manches davon gestattet schlichtweg keine Rückfallebene. Wenn etwa im Keller der Firma der Server crasht, dann gibt es einfach keine andere Möglichkeit, um die Website online zu halten.
Aber: Das gilt längst nicht universell. Denn genau dort, wo eine Methode nicht nur durch das Aufkommen von elektrischem Strom, Elektronik oder Digitaltechnik geboren wurde, gibt es immer eine Möglichkeit, mithilfe von manuellen Vorgehensweisen eine Fallback-Ebene zu etablieren.
Je nach Situation kann das durchaus einen erheblichen, unternehmerisch relevanten Unterschied machen. Etwa, ob ein Auftrag fristgerecht beendet werden kann oder ob das Haus trotz allem wenigstens noch einen Notbetrieb aufrechterhalten kann – statt völlig handlungsunfähig zu werden.
Das ist der wahrscheinlich stärkste Grund, warum Mitarbeiter immer wissen und üben sollten, wie es auch ohne all unsere heutigen Helfer gehen kann. Es mag vielleicht im alltäglichen Betrieb nicht nötig sein. Es wird jedoch vielleicht der Tag kommen, an dem dieser Alltagsbetrieb aus irgendeinem Grund nicht möglich ist. Dann können jene alten Methoden das Zünglein an der Waage sein, egal wie wenig leistungsfähig und irrelevant sie im Vergleich mit den üblichen Herangehensweisen sein mögen.