Berliner Krabbe: Wenn die Plage zur Delikatesse wird

Interview mit Juliane Bublitz und Lukas Bosch, Co-Gründer von HOLYCRAB!

Wirtschaftsforum: Frau Bublitz, Herr Bosch, als Plage bezeichnen Sie sie – die amerikanischen Sumpfkrebse. Wie verlief Ihre erste Begegnung mit den unliebsamen Krabbeltieren?

Lukas Bosch: Unsere erste Begegnung mit dem Roten Amerikaner war tatsächlich noch sehr abstrakt und reizte eher unsere Synapsen als unsere Gaumen. Anfang Mai vergangenen Jahres stolperte ich in einem Zeitungsartikel über ihn – Aufhänger war damals die gerade erteilte Fangerlaubnis des Berliner Senats zur Dezimierung der Population im Tiergarten. Dort konnte man ihnen wohl zu Hoch-Zeiten bei Regenwetter tatsächlich auf den Fahrradwegen begegnen... Nun leben wir allerdings schon eine ganze Weile nicht mehr in Berlin und begegnen so nur noch Nilgänsen, eine ebenfalls invasive Art, wenn wir in Frankfurt mit dem Fahrrad am Main entlang fahren. Die wurden im 18. Jahrhundert als Ziervögel aus Ägypten nach Europa gebracht. Auch sie fühlen sich hier leider etwas zu wohl und bedrohen nicht zuletzt durch ihren sehr aggressiven Charakter einheimische Enten, Gänse und neuerdings auch die den Frankfurtern so am Herzen liegenden Kräuter der Grünen Soße.

Juliane Bublitz: Zurück zu den Krebsen... Der Zeitungsartikel damals war ein typischer „man müsste doch mal“-Moment. Warum nicht einen vermeintlichen Widerspruch in eine wertstiftende Unternehmung verwandeln? Schließlich gilt der Rote Amerikanische Sumpfkrebs in seinem eigentlichen Habitat in Louisiana keineswegs als Plage sondern vielmehr als Delikatesse und Kultspeise.

 

Wirtschaftsforum: HOLYCRAB! hat erkannt: Der Mensch mag die Krebse nicht vor seiner Haustür, wohl aber auf seinem Teller. Der Weg von Berlins Straßen auf die Teller ist jedoch lang. Welche Stationen durchläuft der Krebs, bis er zur leckeren Mahlzeit wird?

Juliane Bublitz: Wir beziehen den Roten Amerikaner sowie weitere Krustentiere, die laut offizieller EU-Liste als invasiv gelten, direkt von Fischern in und um Berlin. Die Beschaffung gestaltet sich hierbei ein wenig herausfordernder als man das gegebenenfalls aus gewöhnlichen Gastroeinkaufsprozessen kennt – wir können nicht einfach auf Großmärkte oder Zuchtbetriebe zurückgreifen, sondern pflegen intensive Beziehungen mit den Fischern. So stellen wir sicher, dass es sich tatsächlich um lokale und aufgrund ihres negativen Einflusses aufs Ökosystem im Sinne des Naturschutzes zu bekämpfende Bestände handelt. Das Ergebnis ist eine hervorragende Produktqualität. Noch so ein Widerspruch: urbane Wildtierqualität, Seafood aus Berlin.

Lukas Bosch: Die Verarbeitung von Schalentieren ist naturgemäß eher aufwändig... Umso belohnender ist das geschmackliche Erlebnis. Unser Koch Andreas Michelus kommt aus der gehobenen Gastronomie und bringt Erfahrung aus einigen der besten Küchen Berlins mit. Er verwandelt die Krebse und Krabben nach allen Regeln der Kunst in unsere Speisen für Streetfood und Catering: Unser Berlin Lobster Bun ist eine Interpretation klassischer Lobster Rolls. Die genaue Rezeptur ändert sich laufend, auch in Abhängigkeit von der Saison. Unsere Kunden können sich so zum Beispiel auf ein hausgemachtes Brioche mit Staudensellerie, blanchierten roten Zwiebeln, schwarzen Walnüssen, Kamillensauce und natürlich dem invasiven Schalentier der Wahl freuen. Im Catering bieten wir in Anlehnung daran je nach Anlass beispielsweise mit „Crab Happens“-Canapés (Holycrab, Kamille, Schwarze Walnuss, Algenkaviar und Brot) ein exquisites Geschmackserlebnis auf der Unternehmensveranstaltung oder der Hochzeit.

HOLYCRAB! - Lukas Bosch
„Die Verarbeitung von Schalentieren ist naturgemäß eher aufwändig... Umso belohnender ist das geschmackliche Erlebnis." Lukas Bosch

Wirtschaftsforum: Sie sind eigentlich Unternehmensberater und Zukunftsforscherin. Mit HOLYCRAB! sind Sie jetzt Unternehmensgründer. Inwiefern ist Ihnen dieser Rollenwechsel schwergefallen?

Lukas Bosch: Da der Fokus meiner Beratungstätigkeit auf Innovation und Geschäftsmodellentwicklung liegt, ist der Sprung zum Unternehmertum gar nicht so weit wie man vielleicht denken könnte. Vielmehr ergänzen sich beide Tätigkeiten hervorragend. Seit mehreren Jahren begleite ich Unternehmen und andere Organisationen aus verschiedensten Branchen bei der Entwicklung von innovativen Produkten, Services, Prozessen, Geschäftsmodellen und Strategien. Vom hierfür zum Einsatz kommenden methodischen Instrumentarium und der Erfahrung im Umgang mit komplexen und von Unsicherheit geprägten Situationen profitiert nun natürlich auch HOLYCRAB!.

Juliane Bublitz: Als Zukunftsforscherin beschäftige ich mich in Publikationen, Vorträgen aber auch Beratungsprojekten mit Megatrends und wie diese für Unternehmen und Organisationen genutzt werden können. Hierbei geht es weniger um das klischeehafte „Glaskugel“-Bild - viel besser als die Zukunft vorhersagen zu wollen ist es, sie selbst aktiv und positiv mit zu gestalten. HOLYCRAB! verortet sich an der Schnittstelle der Megatrends Gesundheit, Neo-Ökologie und Globalisierung und kann hier durch ihre Verbindung einen positiven Beitrag in vielfacher Hinsicht leisten.

Lukas Bosch: Ich denke, die große Klammer, die sich über unser beider Tätigkeiten und dem nun eigenen Unternehmertum ziehen lässt, ist die Arbeit "AM Unternehmen“ im Gegensatz zur Arbeit „im Unternehmen“.

„HOLYCRAB! verortet sich an der Schnittstelle der Megatrends Gesundheit, Neo-Ökologie und Globalisierung und kann hier durch ihre Verbindung einen positiven Beitrag in vielfacher Hinsicht leisten." Juliane Bublitz
HOLYCRAB! - Juliane Bublitz

Wirtschaftsforum: Aus einem invasiven Krebs, den keiner brauchen kann, machen Sie leckere Gerichte. Wie schaffen Sie es, die Begeisterung der Leute für die Kreationen zu wecken?

Lukas Bosch: Diese Frage stellt für uns derzeit auch noch ein spannendes Testfeld dar. Unsere aktuelle Hypothese ist, dass es enorm stark von der Zielgruppe abhängt, welche Botschaft und Ansprache zieht – zum Glück bietet unser Produkt so viele Facetten, dass sich verschiedenste Kundengruppen für uns interessieren. Da ist zum einen natürlich die bereits angesprochene enorm hohe (Wildtier-)Qualität der Kernzutaten, die sich auch über die sonstigen verwendeten Zutaten erstreckt. Man muss sich zudem vergegenwärtigen, dass das was bei uns als „Plage“ gesehen wird, andernorts ja häufig bereits den Status einer Delikatesse hat. Wir lassen uns von den dortigen Rezepturen inspirieren, aber sind erfinderisch – absolut elementar im Sinne der Kundenbegeisterung ist da die Erfahrung, die unser kulinarischer Kopf Andreas mit einbringt.

Juliane Bublitz: Und dann ist da natürlich noch das weite Feld der Nachhaltigkeit. Leider hat der Begriff in den letzten Jahren bei vielen den Anklang von Verzicht bekommen… Was bei uns auf den Teller kommt, hat damit zum Glück nichts zu tun! Unsere Gerichte brauchen sich in der Berliner Gourmet-Szene nicht zu verstecken. Wir verorten uns hier im Trend der "Hedonistic Sustainability“ – denn natürlich sprechen wir neben den ‚klassischen‘ Feinschmeckern insbesondere auch Leute an, denen Nachhaltigkeit wichtig ist. Bei uns muss keiner von beiden verzichten, Nachhaltigkeit muss Spaß machen!

HOLYCRAB! - Juliane Bublitz
„Unsere Vision geht definitiv weit über Schalen- und Krustentiere und auch über Berlin hinaus! Es gibt weltweit unzählige invasive Arten. Etliche von ihnen haben das Potential als Delikatessen auf den Teller zu kommen.“ Juliane Bublitz

Wirtschaftsforum: Sie haben nicht nur den Sumpfkrebs zur neuen Delikatesse erklärt, sondern auch noch weitere Plagen erkannt – unter anderem die Nilgans. Erweitert sich HOLYCRAB! irgendwann durch „Holygoose“?

Juliane Bublitz: Unsere Vision geht definitiv weit über Schalen- und Krustentiere und auch über Berlin hinaus! Es gibt weltweit unzählige invasive Arten. Etliche von ihnen haben das Potential als Delikatessen auf den Teller zu kommen.

Lukas Bosch: Ob der nächste Schritt in Richtung Nilgans geht oder doch in eine ganz andere Richtung, hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab, die wir selbst auch nicht komplett in der Hand haben. Daher kann und möchte ich aktuell noch keine Aussagen darüber treffen, was der nächste Schritt sein wird.

Juliane Bublitz: Fakt ist: wir forschen und planen in verschiedenste Richtungen an der invasivoren Revolution und freuen uns über alle, die sich als Fressfeinde am kulinarischen Naturschutz beteiligen!

Interview: Aurelia Leppen | Fotos: Basti Mowka, Nino Halm 

 

Themen: Delikatessen, Krabbe, Nachhaltigkeit, Ökologie, Saison

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