„Bei der Deindustrialisierung machen wir nicht mit!“
Interview mit Sebastian Freiherr von Cetto, Geschäftsführer der Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH

Wirtschaftsforum: Herr von Cetto, neben der Gesellschaft für Wolfram Industrie mbH mit Sitz in Nußdorf gehören auch die Bayerischen Metallwerke in Dachau sowie ein Forschungs- und Entwicklungszentrum in der Schweiz zu Ihrer Unternehmensgruppe – welche Leistungen bieten Sie damit im Markt genau an?
Sebastian Freiherr von Cetto: Grundsätzlich beginnt der Wertschöpfungsprozess bei uns ausgehend vom Rohpulver mit Misch- und Pressverfahren, bevor als nächster Schritt das Sintern folgt. Am Standort Nußdorf sintern wir dabei im direkten Stromdurchgang, wo der Pressling als elektrischer Widerstand dient, damit er schließlich seine metallische Form annimmt. Bei den Bayerischen Metallwerken in Dachau konzentrieren wir uns jedoch nicht nur auf andere Legierungen, sondern sintern dort auch indirekt – je nach Legierung und Ausprägung bei Temperaturen von bis zu 2.000 °C. Danach sind schließlich die Zerspanungs- und Umformungsprozesse an der Reihe, wo Stäbe und Drähte, aber auch Elektroden und Sondermedizinteile entstehen. Unser Slogan „More than just Tungsten“ soll dabei unsere umfassende Expertise sowie unsere weitreichenden Fertigungsmöglichkeiten unterstreichen: Wir können nahezu alles herstellen, was aus Wolfram oder Molybdän ist.
Wirtschaftsforum: In welchen Branchen sind Ihre Kunden vornehmlich angesiedelt?
Sebastian Freiherr von Cetto: Wir bewegen uns in völlig unterschiedlichen Industriezweigen – von der Luft- und Raumfahrt über Medizintechnik, Kraftwerksbau, lebensmittelverarbeitende Betriebe, die Oil-and-Gas- sowie Food-and-Beverage-Sektoren bis hin zur Halbleiterindustrie, und fertigen dort alles vom Kundenprototyp in Losgröße 1 bis hin zur Serienproduktion mit Stückzahlen von mehreren Millionen. In diesem breiten Engagement in vielfältigen Märkten und Branchen liegt aus meiner Sicht auch eine wichtige Grundlage für unseren nachhaltigen Unternehmenserfolg – gerade in den letzten Jahren, die für die Industrie in Deutschland nicht einfach waren. Deshalb möchten wir unbedingt auch perspektivisch so breit aufgestellt bleiben wie heute – um nicht direkt eine Grippe davonzutragen, wenn der Markt einmal hustet.
Wirtschaftsforum: Derzeit hustet der Markt so beträchtlich, dass manche Stimmen bereits von einer Deindustrialisierung Deutschlands sprechen.
Sebastian Freiherr von Cetto: Das mag von manchen vielleicht sogar als Ziel auserkoren worden sein – aber da machen wir nicht mit. Bei unseren WIG-Schweißelektroden sind wir inzwischen sogar der letzte Hersteller in der westlichen Welt; alle anderen Marktteilnehmer fertigen diese Komponenten nur noch in Ostasien.
Wirtschaftsforum: Warum sind Sie konsequent in Europa geblieben?
Sebastian Freiherr von Cetto: Weil wir ein Familienbetrieb sind und damit auch ein starkes Verantwortungsgefühl für unsere 120 Mitarbeiter und ihre Familien verspüren! Als wir uns entschieden haben, einen völlig neuen Standort zu errichten, stand kurzzeitig auch die Frage im Raum, ob wir unsere Standorte in Nußdorf und Dachau nicht zusammenlegen sollten, um effizienter produzieren zu können – davon haben wir dann aber schnell Abstand genommen, damit unsere Mitarbeiter keine mehrstündige Fahrtzeit in Kauf nehmen müssen.
Darüber hinaus können wir unsere besonderen Qualitätsstandards nur seriös garantieren, wenn unsere Fertigung auch hier in Europa erfolgt; schließlich sind unsere Produktionsverfahren sehr handwerks- und Know-how-intensiv. Unsere Kunden honorieren diesen Ansatz, insbesondere wenn sie sich in stark regulierten Märkten bewegen, wo etwa eine Neuzertifizierung von der FAA viele Millionen US-Dollar verschlingen würde. Wissen, Service, Erreichbarkeit und Qualität werden damit auch perspektivisch die Werte bleiben, auf die unsere Unternehmen bauen.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt das Thema Nachhaltigkeit inzwischen in Ihrem Geschäftsalltag?
Sebastian Freiherr von Cetto: Mit dieser Frage werden wir sehr oft konfrontiert und vielfach sind die Menschen dann erstaunt, wenn ich antworte, dass das für uns überhaupt kein neuer Trend ist, auf den wir uns einstellen müssen. Uns war es schon immer wichtig, achtsam mit den Ressourcen umzugehen, die uns gegeben sind, und mit ihnen möglichst gut hauszuhalten. Natürlich sind unsere Produktionsprozesse sehr energieintensiv, aber das ist nun einmal dem Material geschuldet, das wir verarbeiten. Gerade deshalb haben wir bei unseren neuen Werkshallen nicht nur Wärmerückgewinnungssysteme implementiert, sondern gemeinsam mit einem anderen ortsansässigen Unternehmer auch ein Projekt realisiert, in dessen Zuge wir mit einer Photovoltaikanlage Wasserstoff generieren, der dann von uns direkt wieder als Prozessgas genutzt wird. Mit diesem Themenfeld haben wir uns also schon lange beschäftigt, bevor es woke wurde!