Es gibt wohl kaum einen Lebensbereich, indem „weitermachen“ nicht allgemeiner Standard geworden ist. „Weitermachen“ mit der Griechenland-Hilfe, nur weil den Experten nichts Anderes, nichts Besseres einfällt, oder die Politik nicht eingestehen will, dass sie auf dem Holzweg ist. Warum umkehren auf einem Weg, den wir schon so lange und so weit gegangen sind, auch wenn wir wissen, dass es der falsche ist? Dann doch lieber weitermachen statt sich weiter zu machen, statt die eigenen Grenzen zu überwinden, neu, anders, besser zu denken und zu handeln.
Weitermachen mit Kriegen und Vergeltungsaktionen, von denen wir wissen, dass auf diese nur neue Vergeltung, neue Kriege folgen werden. Weitermachen mit der Ausbeutung der Umwelt, noch geht es ja, noch haben wir die Klippe, die wir längst sehen können, aber vor der wir die Augen verschließen, ja nicht erreicht. Weitermachen mit der tagtäglichen Arbeit, von deren Sinn wir nicht mehr und von deren Sinnlosigkeit wir längst überzeugt sind.
„Mehr desselben ist nicht notwendigerweise besser.“ Recht hat er, der Paul Watzlawick. Schlimm wird es, ja sträflich, wenn wir weitermachen, obwohl wir wissen, dass der Zug in die falsche Richtung fährt, wenn wir nicht warnen, nicht bremsen, nicht aus- und umsteigen, wenn wir einfach mitfahren und mitmachen, denn warum sollten wir, warum sollte ich der erste sein, der warnt, bremst, aussteigt?
Solange die anderen noch mitfahren auf dem Zug in den Untergang, können wir ja auch noch ein bisschen weitermachen. Lieber solidarisch und kuschelig mit der Herde in den Untergang, lieber den längst erkannten falschen Weg weiter mitgehen. Denn diejenigen, die behaupten, uns führen zu können, unsere Verführer also, gehen, als das Unbekannte, Ungewisse zu wagen. Lieber sicher in den Abgrund als unsicher in die Zukunft. Lieber denen vertrauen, von denen wir wissen, dass wir ihnen nicht trauen können, als uns selbst zu trauen, uns weiter zu machen.
In der Tat: „Mehr desselben ist nicht notwendigerweise besser.“ Aber: ein gutes Alibi. Und so gehen wir nicht nur falsche Wege weiter, wir beginnen sogar damit, immer schneller in die falsche Richtung zu laufen. Wir machen alles mit und mit uns kann man alles machen. Wir arbeiten immer mehr, obwohl wir wissen, dass weniger mehr sein kann und mehr vom Falschen garantiert nicht richtiger wird. Wir sind ein Volk, eine Welt der Mitmacher, der Mitläufer, der Weitermacher. Waren wir jemals anders? Umkehr oder Einkehr? Fehlanzeige! Weitermachen!
Weitermachen ist nichts anderes als das beschämende Zeugnis unserer Einfallslosigkeit, unserer Borniertheit, unserer Feigheit, sich für das Unbekannte bereit und weiter zu machen, sich zu öffnen für neue Denk- und Handlungsweisen. Den Blick zu weiten, die Ohren zu spitzen, den Gehirnapparat in Gang zu setzen, unser Tun, Denken und Handeln zu erweitern, kommt uns nicht in den Sinn.
„Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt“, schrieb einst Erich Fried. „Nach uns die Sintflut“, denken wir uns. Die kommt: garantiert, wenn wir so weitermachen, statt uns weiter zu machen.
Ein Kommentar von Georg-W. Exler