Finanzwelt erklärt: Hohes BIP ist kein Garant für Lebensqualität

Teil 32: Hohes BIP ist kein Garant für Lebensqualität

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, die Spielregeln in der Wirtschaft sind scheinbar einfach. Wachsen ist gut, alles andere schlecht… Maßstab ist das BIP. Was halten Sie von dieser BIP-Obsession?

Benjamin Mudlack: Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist eine von vielen quantitativen wirtschaftlichen Kennzahlen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Konkret misst das BIP die Summe des Wertes aller Waren und Dienstleistungen, die in dem jeweiligen Wirtschaftraum pro Jahr produziert wurden. Das wird aufsummiert und man kann die Veränderung zum Vorjahr oder einer belieben Zeitreihe feststellen. Und wichtig ist eine stetige Steigerung von Jahr zu Jahr – das ist dann das Wachstum, von dem in den Medien und seitens der Politik immer die Rede ist.

Die letzten drei Jahre hatten wir in Deutschland ein Wachstum im BIP von 1,7 bis 2,2% pro Jahr, was ungefähr im Bereich der Inflationsrate liegt. Inwiefern man allein anhand dieser Parameter eine Erfolgsstory ableiten soll, erschließt sich mir nicht, denn natürlich hat auch selbst eine moderate Inflation Preissteigerungen der Waren und Dienstleistungen zur Folge und das wiederum erhöht automatisch das Bruttoinlandsprodukt.

Ein wirtschaftliches Schwellenland wächst wesentlich dynamischer als eine Industrienation unserer Größenordnung. Allein diese Tatsache lässt internationale Vergleiche obsolet erscheinen.

Benny Mudlack
„Eine wirtschaftliche Krise größeren Ausmaßes gefolgt von einer längeren rezessiven Phase könnte durchaus prozentual zweistellige Rückgänge im BIP zur Folge haben.“ Benjamin Mudlack

Unsere kreditbasierte Ökonomie lässt zudem Fragezeichen in punkto Nachhaltigkeit und Fragilität unseres Wirtschaftssystems aufkommen. So brach 2009 das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland in Folge der Subprime-Krise um 5,6% ein.

Eine wirtschaftliche Krise größeren Ausmaßes gefolgt von einer längeren rezessiven Phase könnte durchaus prozentual zweistellige Rückgänge im BIP zur Folge haben. Der nächste wichtige Punkt ist die Qualität und das, was der Bürger konkret von einem stetigen Wirtschaftswachstum oder hohem BIP für einen Vorteil hat. Deutschland hatte beispielsweise 2017 ein BIP pro Kopf in Höhe von circa 39.500 EUR und Spanien im Vergleich ein BIP pro Kopf von ungefähr 25.000 EUR. Das ist ein Unterscheid von 58%.

ABER: 2% der Haushalte in Deutschland nutzen aktuell durch einen Glasfaseranschluss schnelles Internet. In dem vermeintlich deutlich ärmeren Spanien verfügen 50% aller Haushalte über schnelles Internet via Glasfaser. Schnelles Internet ist in unserer heutigen Zeit ein Indiz für die Lebensqualität der Bürger. Anhand dieses einen Beispiels sehen Sie, wie subjektiv und irrelevant das BIP für uns Bürger ist.

Wirtschaftsforum: Jetzt definiert sich eine erfolgreiche Wirtschaft und damit auch Wohlstand vor allem über Wachstum. Wie viel Raum für Wachstum bietet unser blauer Planet denn noch?

Benjamin Mudlack: Das Wachstum ist definitiv begrenzt. Das sehen Sie ja auch unter anderem an den moderaten Wachstumsraten in Deutschland, was natürlich auch mit unserer Bevölkerungsstruktur einhergeht. Global gesehen gerät ökologisch vieles aus den Fugen. Der Raubbau an unserem blauen Planeten ist enorm. Die Bodenschätze sind irgendwann ausgebeutet. Allein durch diesen Faktor lassen sich Wachstumsgrenzen indizieren.

Industrienationen und Wohlstandsnationen produzieren vermehrt unter anderem Abgase (und andere Emissionen), Plastikmüll und Müll im Allgemeinen. Auch die Klimaerwärmung und das globale Bevölkerungswachstum sind für die nachfolgenden Generationen von enormer Bedeutung. Wir haben eine kritische Beziehung zwischen Wachstum/Kapitalismus und ökologischer Nachhaltigkeit. Aktuell sehe ich an der Stelle keine maßvolle Balance.

Ein Umdenken und verantwortungsvoller Umgang mit den Ressourcen und der Gesundheit von Mutter Erde ist zwingend von Nöten, ansonsten haben wir Menschen eines Tages ganz andere Probleme als stetiges wirtschaftliches Wachstum.

Benjamin Mudlack
„Die Wellbeing Economics werden vermutlich, so traurig das ist ʼromantische Gedankenspiele und Ideeʼ bleiben.“ Benjamin Mudlack

Wirtschaftsforum: Es gibt eine Gegenbewegung, die sich für Wellbeing Economies ausspricht. Was steckt hinter diesem Begriff und steht er für einen realistischen Plan B der Weltwirtschaft?

Benjamin Mudlack: Es geht um ethische Themen wie Nachhaltigkeit, aber auch um persönliche Verwirklichung und damit verbunden das individuelle Wohlbefinden sowie die wirtschaftliche Teilhabe eines jeden einzelnen. Man spricht auch gerne von der Ökonomie für den Menschen.

Ins Leben gerufen und begleitet wurde diese Initiative maßgeblich von vielen Mitgliedern des Club of Rome. Der Club of Rome ist eine gemeinnützige Organisation und setzt sich für eine nachhaltige Zukunft der Menschheit und den Schutz unseres Ökosystems ein. Mit dem 1972 veröffentlichten Bericht „Die Grenzen des Wachstums“ erlangte er weltweit Beachtung und informierte damit erstmalig die breite Öffentlichkeit über die Knappheit der Bodenschätze und Ressourcen unserer Erde.

Eine Entwicklung in Richtung Wellbeing Economies wäre mehr als wünschenswert. Wir Menschen handeln naturgemäß jedoch eher egoistisch und sind begrenzt was die Selbstreflektion und umfassende Veränderungsprozesse angeht. Die großen Vermögen werden sich in Zukunft nach meiner Einschätzung also weiterhin bei einigen wenigen akkumulieren. Einen realistischen Plan B sehe ich somit leider nicht. Die Wellbeing Economics werden vermutlich, so traurig das ist ʼromantische Gedankenspiele und Ideeʼ bleiben.

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