„Ich sehe meine Pflicht darin, die nächste Generation aufzubauen.“
Interview mit Oliver Niemann, Geschäftsführer, über die Drive Medical GmbH & Co. KG

Wirtschaftsforum: Herr Niemann, Drive Medical und DeVilbiss – zwei Namen, eine Geschichte. Wie hat sich das Unternehmen entwickelt?
Oliver Niemann: Der Ursprung liegt in den USA: Dr. Allen DeVilbiss erfand vor über 130 Jahren die Vernebelung, um Medikamente tief in die Lunge zu transportieren. Später nutzte man die Technik sogar zum Lackieren von Ford-Autos. 2015 hat Drive Medical, ein junges Unternehmen von 2002, DeVilbiss übernommen. Das war die größte Akquisition in unserer Branche. Seither sind wir ein Vollsortiment-Anbieter im Bereich Reha- und Medizinprodukte – mit Atemwegstherapie, Mobilitätshilfen, Badsicherheit und Elektromobilität als vier starke Säulen.
Wirtschaftsforum: Sie sprechen von einem Vollsortiment. Was bedeutet das für Ihre Kunden?
Oliver Niemann: Unsere Kunden sind Sanitätshäuser und medizintechnische Händler. Sie können bei uns fast alles beziehen, was Menschen zu Hause für die Pflege brauchen. Das macht uns zum „One-Stop-Shop“. Für die Händler bedeutet das weniger Aufwand, für die Krankenkassen bezahlbare Lösungen – und für die Patienten qualitativ hochwertige Produkte, die bezahlbar bleiben.
Wirtschaftsforum: Die letzten Jahre waren turbulent: Pandemie, Krieg, Lieferengpässe. Wie hat das Ihr Geschäft beeinflusst?
Oliver Niemann: 2020 waren wir plötzlich mitten im Sturm: Sauerstoffkonzentratoren wurden weltweit gebraucht. Wir konnten liefern und haben profitiert. Im Jahr danach war der Markt gesättigt – aber genau dann entstand in der Reha ein Nachholbedarf. Diese Balance hat uns geholfen, ohne Kurzarbeit durch die Pandemie zu kommen. Entscheidend war: Wir haben unsere treuen Partner bevorzugt bedient. Das hat Vertrauen geschaffen. Heute ist Verlässlichkeit vielleicht unser größtes Kapital.
Wirtschaftsforum: Wo stehen Sie im Markt?
Oliver Niemann: Global gehören wir zu den führenden Anbietern in der Atemwegstherapie. Bei Badewannenliftern sind wir Marktführer. In anderen Segmenten, wie Pflegebetten, gibt es Spezialisten, die stärker sind. Aber mit unserem breiten Portfolio können wir vieles aus einer Hand anbieten – und das ist ein klarer Vorteil.
Wirtschaftsforum: Sie erwähnten vier Kernsäulen. Welche Rolle spielt Innovation dabei?
Oliver Niemann: Eine große. Nehmen Sie unseren neuen Elektrorollstuhl aus Carbon. Früher unbezahlbar, heute dank Material- und Batterietechnologie erschwinglich – und zehn Kilo leichter. Das ist nicht nur für Patienten ein Vorteil, sondern auch für Angehörige, die das Gerät heben müssen. Innovation bedeutet für uns: bessere Produkte, aber immer mit Blick auf Kosten. Denn ein zu teures Produkt nützt am Ende niemandem.
Wirtschaftsforum: Und das Thema Nachhaltigkeit?
Oliver Niemann: Ein Riesenthema. Verpackungen, Recycling, Kreislaufwirtschaft – all das verändert gerade unsere Branche. Wir stehen unter Druck, Plastik zu reduzieren und Rücknahmesysteme einzuführen. Aber es ist auch eine Chance, uns vom Wettbewerb abzugrenzen.
Wirtschaftsforum: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen der nächsten Jahre?
Oliver Niemann: Zwei Punkte: Erstens die Digitalisierung. Unsere Kunden – die Sanitätshäuser – verändern sich, werden professioneller, digitaler. Wir müssen unsere Schnittstellen an ihre Warenwirtschaftssysteme anpassen und online sichtbarer werden. Zweitens die Überalterung. Der Pflegebedarf wächst überall in Europa. Das heißt für uns: Wir müssen Produkte anbieten, die Menschen ermöglichen, länger zu Hause zu bleiben. Das ist menschlich – und spart der Gesellschaft enorme Kosten.
Wirtschaftsforum: Welche Rolle spielt dabei die Politik?
Oliver Niemann: Leider eine zu kleine. In Berlin spricht man viel über Krankenhäuser und Pharma, aber die Sanitätshäuser oder die häusliche Pflege haben keine Lobby. Dabei sind sie entscheidend für die Versorgung. Ich würde mir wünschen, dass die Politik unseren Beitrag stärker anerkennt.
Wirtschaftsforum: Nach über 30 Jahren in der Branche – was treibt Sie persönlich an?
Oliver Niemann: Ganz klar der Generationenvertrag. Ich habe viel bekommen: Chancen, Vertrauen, ein großartiges Team. Jetzt sehe ich meine Pflicht darin, die nächste Generation aufzubauen. Viele von uns „Boomern“ gehen bald gleichzeitig in Rente. Die Jungen bringen andere Ideen und Erwartungen mit – das müssen wir zusammenbringen. Ich will ein Unternehmen übergeben, das stabil, modern und attraktiv für die Zukunft ist.
Wirtschaftsforum: Sie haben die Unternehmenskultur erwähnt. Was macht sie aus?
Oliver Niemann: Wir nennen es den „Drive DeVilbiss Way“. Dazu gehören Vereinbarungen wie: ethisch handeln, faktenbasiert kommunizieren, einen sicheren Raum schaffen, in dem Mitarbeiter auch mal den Chef stoppen dürfen, wenn er sich verrennt. Das schafft Vertrauen – und Motivation.
Wirtschaftsforum: Und Ihr persönliches Fazit?
Oliver Niemann: Mir macht es immer noch Freude. Jeder Tag bringt neue Herausforderungen, neue Ideen. Wenn wir es schaffen, die Pflege nach Hause zu bringen und gleichzeitig ein starkes Unternehmen für die nächste Generation aufzubauen – dann habe ich meinen Job gemacht.