Finanzwelt erklärt: Kryptowährung für Kartoffeln

Teil 24: Kryptowährung für Kartoffeln

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, etwa 1.600 Kryptowährungen hat eine Fachseite zum 1. Juni 2018 online gelistet. Warum sollten wir uns „Kolion“ des Russen Michail Schljapnikow dennoch genauer anschauen?

Benjamin Mudlack: Weil hinter Kolion, im Gegensatz zu vielen anderen Kryptowährungen, reale Werte stehen und ein Bezug zur Realwirtschaft gegeben ist. Der Name Kolion leitet sich aus Kolinovo ab. Kolinovo ist ein abgelegenes russisches Bauerndorf. Die Bürger von Kolinovo erhielten nur zweimal im Jahr Rubel. Ihnen mangelte es an Unterstützung durch den Staat und die Banken. Die fehlende Liquidität rief den ehemaligen Banker und jetzigen Landwirt Michail Schljapnikow auf den Plan. Aus Mangel an finanziellen Mitteln entwickelte er eine eigene Währung. Sie sollte unabhängig von Bankkrediten und staatlichen Subventionen die Liquiditätsschwierigkeiten in dem Ort lösen. 2014 ließ Schljapnikow eine Million Kolionen drucken. Die Lieferung kam per Kurier und von nun an konnte man zum Beispiel ein Ei in Kolinovo durch die eigene Währung für die Hälfte im Vergleich zum Kauf via Rubel erwerben. Der immense Discount ist durch die Entkoppelung von staatlichen Abgaben et cetera zu erklären und bietet natürlich einen erheblichen Anreiz für die Verwendung des Kolions. 2015 kam ein herber Rückschlag. Der physische Kolion wurde verboten und Schljapnikow verhaftet, aber nach kurzer Zeit wieder auf freien Fuß gesetzt.

Auf der Suche nach einer Lösung und um der juristischen Verfolgung zu entgehen, gab Michail Schljapnikow über ein erstes öffentliches Angebot Kolion als Kryptowährung heraus. 2017 konnte er so 401 Bitcoins von 103 Investoren generieren. Technisch verwendet das Projekt die Token, die auf der WAVES-Plattform ausgegeben wurden und nutzt die Dienste in der Blockchain von Emercoin. Der Kolion ist gebunden, sodass beispielsweise 1 Kolion 10 kg Kartoffeln und 2 Kolionen 10 Eiern entsprechen. Jemand, der auf dem Hof von Schljapnikow arbeitet, wird mit Kolionen entlohnt und kann dann seinerseits damit wieder einkaufen. Ein rundes, geschlossenes und sinnhaftes System.

Zusammenfassend kann man Kolion als Modell für eine neue, freiheitliche und selbstorganisierte Form der Wirtschaft bezeichnen.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Der Kolion ist gebunden, sodass beispielsweise 1 Kolion 10 kg Kartoffeln und 2 Kolionen 10 Eiern entsprechen.“ Benjamin Mudlack

Wirtschaftsforum: Schljapnikow spricht bei Kolion von einer Ergänzung zum staatlichen Finanzsystem. Ergänzung oder Konkurrenz?

Benjamin Mudlack: Es ist eher eine Ergänzung, das sieht er aus meiner Sicht vollkommen richtig. Derjenige, der über das Gewaltmonopol verfügt, wird auch das Geldmonopol in den Händen halten. Das hat die Verhaftung Schljapnikows belegt. Folglich können Sie dem Staat oder in unserem Fall der Staatengemeinschaft, der Europäischen Wirtschaftsunion (EWU), keine Konkurrenz bieten. Durch überschuldete Staaten, expansive Geldpolitik/aufgeblähte Geldmenge und nicht zuletzt durch die Europroblematik schwindet zunehmend das Vertrauen in unser Finanzsystem und den Reformwillen der Politik. Wer seine Kaufkraft nachhaltig sichern möchte, der findet durchaus Alternativen in Sachwerten, in sinnhaften Kryptowährungskonzepten oder allgemein in unternehmerischen Beteiligungen.

„Derjenige, der über das Gewaltmonopol verfügt, wird auch das Geldmonopol in den Händen halten.“ Benjamin Mudlack
Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker

Wirtschaftsforum: Sehen Sie Kolion als Vorbild für vergleichbare Gründungen? Wo machen Sie Schwierigkeiten aus?

Benjamin Mudlack: Kolion stellt für mich definitiv ein Vorbild für Gründungen und geglücktes Fundraising im Rahmen eines freiheitlichen Systems dar. Der bekannte deutsche Autor und Vortragsredner Hermann Scherer bezeichnet jedes Problem als ein noch nicht gegründetes Unternehmen. Diese Aussage teile ich, allerdings mit einer Einschränkung. Wir brauchen auch eine nachhaltige/wirtschaftliche Lösung für das Problem und einen erkennbaren Vorteil für die potenziellen Kunden/Nutzer. Als Start-up gibt es kaum Möglichkeiten eine herkömmliche Finanzierung über ein Kreditinstitut zu erhalten. Das man heutzutage mit einem tragfähigen Konzept über einen Coin oder Crowdfunding im Allgemeinen Investoren überzeugen kann, begeistert mich. Besonders sinnvoll ist es natürlich, wenn man die beteiligten Personen (siehe Kolinovo) mit einbindet und eine Interessengemeinschaft im Rahmen einer „Genossenschaft der digitalen Welt“ ins Leben ruft.

Benjamin Mudlack, Bankkaufmann und Dipl. Wirtschaftsinformatiker
„Kolion stellt für mich definitiv ein Vorbild für Gründungen und geglücktes Fundraising im Rahmen eines freiheitlichen Systems dar.“ Benjamin Mudlack

Ich warne jedoch vor zu großer Euphorie und rate differenziert und kritisch zu prüfen. Wie bei allen Trends und auch zu Zeiten des Neuen Marktes und der neuen Technologien, sehen wir heute viele schwarze Schafe in diesem noch nicht regulierten Markt. Daher sollte jeder genau schauen, an was er sich da beteiligt und ob dieses Konzept Sinn ergibt. Die nächste Gefahr ist eine harte Regulierung oder staatliche Kontrolle, die eventuell viele gute Ideen im Keim ersticken würde.

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