Finanzwelt erklärt: Krisen zeigen, dass der Euro als Währungssystem nicht funktionsfähig ist

Teil 4: Krisen zeigen, dass der Euro als Währungssystem nicht funktionsfähig ist
Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, nicht wenige Menschen trauern den Zeiten der D-Mark hinterher. Was halten Sie von dieser Währungsnostalgie?
Benjamin Mudlack: Die Menschen, die trauern, sind natürlich auch teilweise manipuliert durch eine romantische Verbindung zur D-Mark. Sie verknüpfen mit der D-Mark ausschließlich gute Erinnerungen wie den wirtschaftlichen Aufstieg der jungen Republik und leben nach dem Motto „früher war sowieso alles besser“. Ökonomisch und sachlich betrachtet, reicht jedoch nicht nur der Blick auf die D-Mark alleine, sondern wir müssen das gesamte System der flexiblen Wechselkurse innerhalb Europas von 1948 bis 2001 betrachten. Dieses System hat uns sehr lange Frieden und Ausgewogenheit in Europa beschert. Wirtschaftliche Ungleichgewichte, Handelsbilanzdefizite und daraus resultierende Leistungsbilanzdefizite wurden durch bewegliche Wechselkurse ausgeglichen.

„Wirtschaftliche Ungleichgewichte können nicht mehr ausgeglichen werden, dieser Konstruktionsfehler ist offensichtlich.“ Benjamin MudlackFinanzexperte
Benjamin Mudlack: Das hört sich kompliziert an, ist es aber nicht, wenn man es an einem praktischen Beispiel verdeutlicht: Spanien hat in den Jahren durchweg weniger nach Deutschland exportiert als importiert. Dieser Umstand wiederum hat aus der Sicht Spaniens ein Handelsbilanzdefizit und somit auch ein Leistungsbilanzdefizit gegenüber Deutschland zur Folge (Import> Export = negativer Saldo). Um das Leistungsbilanzdefizit auszugleichen, und da die Waren und Dienstleistungen in D-Mark zu bezahlen waren, wurden Spanische Peseten in D-Mark getauscht. D-Mark wurde nachgefragt, der Kurs der D-Mark gegenüber den Peseten stieg, die D-Mark erfuhr eine Aufwertung, die Peseten wurden abgewertet. Durch die Abwertung der Peseten blieb die spanische Exportwirtschaft konkurrenzfähig. Diese Marktmechanismen wurden durch die Einführung des Euro außer Kraft gesetzt. Wirtschaftliche Ungleichgewichte können nicht mehr ausgeglichen werden, dieser Konstruktionsfehler ist offensichtlich. Viele renommierte Ökonomen wie Prof. Dr. Hans-Werner Sinn haben bereits vor Einführung des Euros vor genau diesen Folgen gewarnt.

„Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den südlichen Euro-Ländern und den nördlichen haben sich extrem vergrößert.“ Benjamin MudlackFinanzexperte
Wirtschaftsforum: Die Gegenwart gehört dennoch dem Euro. Sie sehen die Gemeinschaftswährung allerdings nicht unproblematisch. Woher rührt Ihre Skepsis?
Benjamin Mudlack: Skepsis? Die Krisen, die wir im Euro hatten und die bis heute nicht gelöst sind, haben bereits den Beweis erbracht, dass dieses Währungssystem nicht funktionsfähig ist. Die wirtschaftlichen Ungleichgewichte zwischen den südlichen Euro-Ländern und den nördlichen haben sich extrem vergrößert. Massive Arbeitslosigkeit (und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit) durch nicht mehr konkurrenzfähige Unternehmen haben perspektivlose und gefrustete Bürger in diesen Ländern zur Folge. Die soziologischen Folgen sind bereits jetzt verheerend, extremistische Parteien werden zunehmend gewählt, Nationalismus hat Hochkonjunktur und die europäische Stabilität/Ausgeglichenheit gerät in Gefahr. Der recht bekannte Satz der Bundeskanzlerin „scheitert der Euro, scheitert Europa“ klingt da schon leicht realitätsfern. Für uns in Deutschland ist der Euro viel zu schwach. Dieser Umstand beflügelte unsere exportorientierte Wirtschaft und stärkte die Marktposition unserer Unternehmen. Aber de facto wurden durch die Euro-Einführung Marktmechanismen außer Kraft gesetzt und zu viele wirtschaftlich ungleiche Volkswirtschaften in ein einziges Währungskorsett gezwängt.
Wirtschaftsforum: Zuletzt war immer wieder von der Eurokrise zu hören und zu lesen. Wird das ein Dauerthema und warum bekommt die EZB die Ursachen hierfür nicht in den Griff?
Benjamin Mudlack: Es ist definitiv ein Dauerthema, weil die Ursache nicht durch eine lockere und expansive Geldpolitik in den Griff zu bekommen ist. Man hat nur die Symptome bekämpft. Rettungsschirme wie der ESM & Co. lösen keine Konstruktionsfehler. Eine geordnete Abwicklung der in Schieflage geratenen Länder inklusive Schuldenschnitt und somit Beteiligung der Gläubiger wäre eine marktübliche Vorgehensweise gewesen. Stattdessen hat man den Ländern Sparzwänge auferlegt und sie durch Milliarden-Garantien künstlich „am Leben gehalten“. Wenn sich ein Unternehmer so verhält, erfüllt er den Tatbestand der Insolvenzverschleppung und wird strafrechtlich verfolgt. Das ist kein gutes Signal an die Bürger, wenn an oberster Stelle so agiert wird. Gegen die „No Bailout“-Klausel nach Artikel 125 der Lissabonner Verträge wurde ebenso verstoßen wie gegen die Stabilitätskriterien aus dem Vertrag von Maastricht.

„Wir benötigen wieder flexible Wechselkurse, um die Unternehmen der südlichen Länder konkurrenzfähig zu machen. Und wir brauchen eine Politik, die diszipliniert arbeitet und sich an die vorher definierten Regeln, Gesetze und Verträge hält.“ Benjamin MudlackFinanzexperte
Benjamin Mudlack: Die Geschichte wird über die Maßnahmen der Notenbanken urteilen und auch über das Krisenmanagement der maßgeblich beteiligten Regierungen. Die Wahrscheinlichkeiten für ein positives Urteil tendieren nach meiner Einschätzung gegen Null. Wir sehen ja bereits heute keine Besserung und haben jüngst Bankenpleiten in Italien erlebt. Man hätte frühzeitig den Euro grundlegend reformieren müssen. Wir benötigen wieder flexible Wechselkurse, um die Unternehmen der südlichen Länder konkurrenzfähig zu machen. Und wir brauchen eine Politik, die diszipliniert arbeitet und sich an die vorher definierten Regeln, Gesetze und Verträge hält.
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