Finanzwelt erklärt: Cum-Ex-Deals: Auf Kaperfahrt beim Steuerzahler

Wirtschaftsforum: Herr Mudlack, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen lief unter dem Titel „Cum-Ex-Files“ eine Reportage, die den „größten Fall der Finanzkriminalität in der Geschichte der BRD“ beleuchtet. Wem wird denn welches Vergehen vorgeworfen?

Benjamin Mudlack: Im Kern geht es um die geplante/organisierte Fehlleitung öffentlicher Gelder im Zusammenhang mit Gutschriften aus der Kapitalertragssteuer in Verbindung mit Dividendenzahlungen von börsennotierten Unternehmen. Wie wir aus anderen Themenbereichen wissen, gibt es eine regelrechte Industrie zur Vermeidung von Steuern und Aufdeckung von Steuerschlupflöchern oder Grauzonen in der Steuergesetzgebung.

Der Gewinn aus den Cum-Ex- oder Cum-Cum-Geschäften basiert einzig und allein auf einer Steuergutschrift, wurde unter den am Deal beteiligten Personen aufgeteilt und führte zum Schaden für den deutschen Fiskus. Die agierenden Profiteure, beziehungsweise fragwürdigen Akteure, sind unter anderem Banken, sehr vermögende Investoren, Rechtsanwälte und allgemeine Vermittler. Sogar ehemalige Steuerfahnder sollen diesem hochkriminellen Netzwerk angehören.

Wie dieser komplexe Vorgang funktioniert, den ich aufgrund nicht vorhandener Wertschöpfung bewusst nicht als Geschäft bezeichnen möchte, machen die folgenden Grafiken deutlich.

Wie funktionieren Cum-Ex-Geschäfte?

Wirtschaftsforum: Neben Deutschland sollen mindestens weitere zehn europäische Länder betroffen sein. Ein Vorwurf lautet, die Bundesregierung habe es unterlassen, Warnungen an andere Länder auszusprechen, obwohl die Geschäfte bekannt waren. Das wirkt wie ein Freibrief für steuergetriebene Aktiengeschäfte, oder?

Benjamin Mudlack: Diese Vermutung drängt sich natürlich regelrecht auf. Die finanzpolitischen Kräfte unserer Republik haben auf ganzer Linie und auch über mindestens drei Legislaturperioden hinweg massiv versagt. 2002 wurde das Thema von politischer Seite erstmals durch Warnungen auf die Agenda gehoben. Unter anderem informierte der deutsche Bankenverband den damaligen Bundesfinanzminister Hans Eichel.

Benny Mudlack
„Die finanzpolitischen Kräfte unserer Republik haben auf ganzer Linie und auch über mindestens drei Legislaturperioden hinweg massiv versagt.“ Benjamin Mudlack

Dieser Verband unterbreitete später dem auf Eichel folgenden Finanzminister Peer Steinbrück einen Vorschlag für ein regulierendes Gesetz. Das Gesetz wurde in nahezu identischer Art und Weise verabschiedet. In der Folge waren die „Cum-Ex-Deals“ in Deutschland nicht mehr möglich. Aber da sich der Vorgang und der Ideenreichtum der handelnden Akteure wie ein Virus evolutionär und zudem rasend schnell weiterentwickelte, wich man auf das europäische Ausland aus. Die Tax-Trader, so werden diese Banker in der Finanzwelt genannt, konnten also ungehindert ihre Machenschaften weiterbetreiben.

Wir haben hier sowohl ein glasklares Beispiel für einen gestörten Austausch innerhalb der EU, als auch für funktionierende Lobbyarbeit. Ihre Frage, ob es ein Freibrief war, kann man also per heute mit „Ja“ beantworten. Die Aufarbeitung und die strafrechtliche Verfolgung müssen wir abwarten und danach sind wir erst in der Lage, eine abschließende Bewertung vorzunehmen.

Benny Mudlack
„Die Vorgänge um die Cum-Ex-Thematik bewegen sich aus meiner Sicht definitiv im Bereich der organisierten Kriminalität und sollten auch als solche verfolgt und ergründet werden.“ Benjamin Mudlack

Wirtschaftsforum: Die Empörung ist groß. Experten und Politiker überbieten sich mit Empfehlungen, Tipps und Vorschlägen zur Bekämpfung von Steuerkriminalität. Wird sich Ihrer Meinung nach jetzt etwas ändern?

Benjamin Mudlack: Die Vorgänge um die Cum-Ex-Thematik bewegen sich aus meiner Sicht definitiv im Bereich der organisierten Kriminalität und sollten auch als solche verfolgt und ergründet werden. Nur weil die Akteure nicht wie klassische Verbrecher aussehen, ist der Schaden, die Skrupellosigkeit und auch die kriminelle Energie exorbitant. Es muss sich zwingend etwas ändern, sonst wird die Glaubwürdigkeit in unser politisches System weiter abnehmen.

Ob und wie der Staat juristisch in der Lage ist, die fehlgeleiteten Beträge zurückzufordern, kann man zum heutigen Zeitpunkt noch nicht sagen. Aber aus meiner Sicht ist man gut damit beraten alle Hebel in Bewegung zu setzen, um die Gelder zurückzubekommen und die Hauptakteure strafrechtlich mit aller Härte zu verfolgen. Nur so hat man von politischer Seite die Chance, verspielte Glaubwürdigkeit zurückzuerlangen. Ich hoffe sehr auf ein deutliches, politisches Zeichen und ein klares Signal im Sinne der Bürger und für unsere Demokratie. Die Lobbypolitik einzelner Interessensverbände sollte man ebenfalls unterbinden.

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