Agile Führungskultur: Vertrauen als Schmiermittel der Wirtschaft

Agilität ist in aller Munde. Inwiefern ist das jetzt nicht einfach nur ein Schlagwort für den nächsten kurzlebigen Trend, sondern als Faktor für die Unternehmensführung heutzutage unabdingbar?

Die Geschwindigkeit, mit der Märkte sich verändern, verschwinden oder neu entstehen ist durch die Digitalisierung fast aller Produkte und Services so rasant gewachsen, dass auch das Management in Unternehmen sich stets schneller, wendiger und weniger schematisch aufstellen muss, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Deutlich kürzere Innovationszyklen haben zwangsläufig auch Auswirkungen auf die Unternehmensstrategie – der Zeithorizont für die konkrete Strategieplanung verkürzt sich stetig. Zusätzlich dazu ersetzt der „outside-in“-Ansatz bereits jetzt schon häufig den klassischen „inside-out“-Ansatz. Das bedeutet, dass der seit vielen Jahren praktizierte und häufig auch erfolgreiche Ansatz: „wir schauen, was uns ausmacht und überlegen dann, wie wir es erfolgreich platzieren“ an Bedeutung verliert.

Unternehmen haben gelernt oder lernen derzeit, wie sie ihren Fokus deutlich in Richtung Markt und Anwender verschieben. Bei diesem Ansatz bestimmten die Bedürfnisse der Kunden, der einzelnen Anwender und die des Marktes die Entwicklungsrichtung der Unternehmen. Das fällt mit klassischen, linearen Modellen schwer, hier sind agile Arbeitsweisen mit iterativem Vorgehen, Kundennähe und vernetzter Zusammenarbeit sowie institutionalisiertem Lernen klar im Vorteil.

Martin Beims, Geschäftsführer der aretas GmbH
„Eine gemeinsame Ergebnisverantwortung statt starrer Hierachievorgaben sorgt für ein agileres Klima, hat aber zur Folge, dass die Unternehmenskultur sich an die neuen Gegebenheiten anpassen muss.“ Martin BeimsGeschäftsführer der aretas GmbH

Was zeichnet eine agile Führungskultur aus?

Damit eine agile Führungskultur gelingen kann, braucht es zu allererst eine große Portion Vertrauen und damit einhergehend eine konsequente Verantwortungsübernahme von allen Beteiligten. Eine gemeinsame Ergebnisverantwortung statt starrer Hierachievorgaben sorgt für ein agileres Klima, hat aber zur Folge, dass die Unternehmenskultur sich an die neuen Gegebenheiten anpassen muss.

Jeden Tag morgens gemeinsam beim Kaffee treffen, neue Rollenbezeichungen und ein schönes Kanban Board gehören meist dazu, reichen aber sicher nicht aus. Der Fokus verschiebt sich hin zu mehr horizontaler Zusammenarbeit über Fachbereichsgrenzen hinaus. Ein iteratives Vorgehen sorgt dafür, die Geschwindigkeit zu erhöhen und Entscheidungen auch wirklich dort zu treffen, wo sie anfallen. Dabei schaffen klare Prinzipien den Rahmen, in dem Entscheidungen getroffen werden.

Viele kleine Veränderungen statt wenige große erleichtern darüber hinaus das Management der Risiken durch Veränderungen. Neben einer regelmäßigen Erfolgskontrolle schafft auch konsequentes Lernen aus Fehlern eine vertrauensvolle Atmosphäre. Außerdem spielt der direkte Kontakt zu Kunden und Anwendern eine große Rolle – nur so entsteht echter Dialog, der es ermöglicht, flexibel auf veränderte Bedürfnisse zu reagieren.

Welche Schritte müssen Unternehmen gehen, um ihre Organisation agiler zu gestalten?

Zunächst muss sich die Unternehmenskultur dahingehend entwickeln, dass agiles Arbeiten möglich ist. Das funktioniert allerdings nicht von heute auf morgen. Es ist schwer, in einem Unternehmen mit langjähriger Hierarchietradition plötzlich etwa dem Bereichsleiter zu erläutern, er solle doch bitte mit dem frischen Uni-Absolventen auf Augenhöhe am gemeinsamen Ergebnis arbeiten. Da entstehen Ängste und Ablehnung auf einer nichtfachlichen Ebene, die ernst genommen, gemeinsam bearbeitet und in eine veränderte Kultur transformiert werden wollen.

Dazu gehört zum Beispiel eine positive Fehlerkultur. Und zwar in der Realität, nicht nur in der Wochenendansprache des Chefs. Das beginnt damit, dass konsequent nicht Fehlerfreiheit sondern Innovationskraft, Ideenreichtum und zielgerichtete Risikobereitschaft honoriert werden. So wird ein angstfreier Umgang mit iterativem Vorgehen erst möglich, denn es besteht aus einem Zyklus aus Verstehen, Prototyping, Implementieren, Testen, Fehler erkennen, kommunizieren, lernen und korrigieren. Nach dem Zyklus beginnt die nächste Iteration. So unterliegt dann auch die Unternehmensentwicklung einer stetigen Anpassung. Fachlich wie Kulturell.

„Agiles Arbeiten bedeutet in erster Linie, dass Entscheidungen stets dort getroffen werden, wo sie sich direkt auf die Arbeit auswirken.“ Martin BeimsGeschäftsführer der aretas GmbH
Martin Beims, Geschäftsführer der aretas GmbH

Warum ist Vertrauen aus Ihrer Sicht ein essentieller Bestandteil einer agilen Führung?

Agiles Arbeiten bedeutet in erster Linie, dass Entscheidungen stets dort getroffen werden, wo sie sich direkt auf die Arbeit auswirken. Für Führungskräfte bedeutet diese Haltung, den Beteiligten zu vertrauen, dass sie im Sinne des Unternehmens handeln. Dazu gehört auch, Entscheidungen nicht permanent in Frage zu stellen. Klare Prinzipien als Leitplanken helfen dabei: Sie sorgen – verankert in der gemeinsamen Unternehmenskultur – für den notwendigen Rahmen für alle Beteiligten. Vertrauen bedeutet in diesem Zuge aber auch Fehler zuzulassen und den Akteuren zuzutrauen, daraus zu lernen und stetig bessere Ergebnisse zu liefern.

Inwiefern bedingen sich wirtschaftliche Lage und vertrauensvolle Atomsphäre in Unternehmen?

In einer klassischen Hierachiestruktur herrscht erfahrungsgemäß oft keine positive Fehlerkultur. So nehmen konfliktscheue Mitarbeiter ungünstige Beschlüsse lieber in Kauf, die dem Unternehmen sogar wirtschaftlich schaden können. Für ein von Vertrauen geprägtes Klima, das den Mitarbeitern erlaubt – oder sie sogar dabei fördert – konstruktive Kritik zu äußern, müssen die Vorgesetzten mit gutem Beispiel vorangehen. Vertrauen, Empathie und Respekt sind Schlüsselfaktoren für eine gesunde Unternehmenskultur. Stellschrauben wie etwa der Verzicht auf feste Arbeitszeiten, freie Urlaubseinteilung, sehr flache Hierarchien oder sich selbst organisierende Teams gibt es zahlreiche.

Um zu verdeutlichen, dass der Wunsch nach fachlichem Widerspruch ernst gemeint ist, müssen Unternehmen Querdenker loben und in verantwortungsvolle Positionen bringen. Denn Kritiker erscheinen zwar kurzfristig unbequem, tragen aber langfristig erheblich zum Unternehmenserfolg bei. Was letztlich zählt ist allerdings kein entweder oder, sondern die richtige Mischung unterschiedlicher Charaktere. So können Unterhemen als Ganzes, getragen von der Kultur unterschiedlichen Herausforderungen und wirtschaftlichen Situationen gerecht werden.

Müssen Unternehmen um jeden Preis eine agile Kultur entwickeln? Oder führt das nur in eine Sackgasse?

Generell sollten Unternehmen nichts um jeden Preis entwickeln sondern ganz ehrlich analysieren, was Markt und Kunden jetzt und in Zukunft benötigen. Danach folgt die Überlegung, wie das Unternehmen dem am effektivsten Rechnung tragen kann. Überall dort, wo Innovation, Geschwindigkeit, Kunden- und besonders Anwendernähe im Mittelpunkt stehen, können agile Bausteine einen großen Vorteil bedeuten.

In den Unternehmen, in denen einfach bestehende Leistungen effizient erbracht werden sollen, können herkömmliche lineare Vorgehen ebenso passend sein. Hier sollte sich jedoch jedes Unternehmen ernsthaft fragen, ob dieser lineare Markt wirklich Realität ist oder doch eher Wunschdenken. Denn naturgemäß suchen Menschen und damit auch Manager eher nach Gründen, Gewohnheiten zu belassen und nicht zu verändern. Nicht zuletzt spielt es für den Unternehmenserfolg eine entscheidende Rolle die passenden Mitarbeiter zu finden. Gerade junge Arbeitnehmer lernen von Beginn an, auf Netzwerke, Zusammenarbeit, Anwendernähe, Nutzen und damit verkürzt gesagt auf Agilität zu setzen.

In der Regel entscheiden sich daher die jüngeren Generationen eher für Unternehmen, in denen dies auch gelebt wird und machen einen großen Bogen um starre Hierarchien.

Bilder: Adobe Stock, Aretas GmbH

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