Herr Rechtsanwalt Markus Sittig zählt zu den erfahrensten Experten auf dem Gebiet des Strafrechts in Deutschland. Seit 2008 als Anwalt tätig und seit 2013 Fachanwalt für Strafrecht, leitet er die Kanzlei SITTIG LAW mit Hauptsitz in Hamburg sowie Zweigstellen in Kassel und Frankfurt. Mit mehr als 15 Jahren Berufserfahrung hat sich Herr Sittig einen Ruf als kompetenter Ansprechpartner in komplexen und anspruchsvollen strafrechtlichen Verfahren erarbeitet. Seine Expertise reicht vom Wirtschaftsstrafrecht über das Medizinstrafrecht bis hin zu strafrechtlichen Revisionen und Verfassungsbeschwerden.
Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit engagiert sich Herr Sittig intensiv in der Fortbildung von Fachanwälten und hat sich auch im IT-Recht als Fachanwalt einen Namen gemacht. Besonders im Bereich des Wirtschaftsstrafrechts verfügt er über umfassende Erfahrung und vertritt Führungskräfte sowie Unternehmen in sensiblen Verfahren.
Im Interview spricht Herr Sittig über die persönlichen Risiken, die Geschäftsführer und Führungskräfte im Wirtschaftsstrafrecht tragen, und erläutert, wie sie sich durch Prävention und rechtliche Strategien schützen können.
Herr Sittig, können Sie sich und ihren bisherigen beruflichen Werdegang als Anwalt unseren Lesern kurz vorstellen?
Nachdem ich mein 2. juristisches Staatsexamen im Jahr 2008 erworben hatte, habe ich mich sofort als Rechtsanwalt selbständig gemacht. Ich war zunächst in einer kleinen Bürogemeinschaft tätig, bin dann aber in eine größere Sozietät gewechselt, die im Großraum Nordhessen im Strafrecht großes Ansehen genoss. Die Kanzlei war vorwiegend im Wirtschaftsstrafrecht und Medizinstrafrecht tätig und ich habe zur damaligen Zeit auch viele Revisionsbegründungen gefertigt. Später habe ich mein Spektrum dann um Betäubungsmittelstrafrecht und Sexualstrafrecht erweitert, wobei mir meine Expertise als Fachanwalt für IT-Recht sehr zu Gute kam. Inzwischen bin ich in Hamburg niedergelassen.
Wieso haben Sie sich auf Wirtschaftsstrafrecht spezialisiert?
Das Wirtschaftsstrafrecht war die erste strafrechtliche Spezialmaterie, mit der ich befasst war. Bis heute reizt mich daran die Vielseitigkeit. Zum einen hat man regelmäßig mit unterschiedlichsten Vorgängen des Wirtschaftslebens zu tun. Zum anderen ist man auch ständig mit zivilrechtlicher Spezialmaterie beschäftigt, wie etwa Gesellschaftsrecht, Insolvenzrecht und natürlich Steuerrecht.
Welche strafrechtlichen Risiken bestehen für Geschäftsführer und Führungskräfte im wirtschaftlichen Kontext?
Geschäftsführer und leitende Angestellte sehen sich vielfältigen Risiken im Zuge ihrer Tätigkeit ausgesetzt. Ich unterstelle jetzt mal, dass jemand so eine Tätigkeit mit der besten Intention ausübt. Dann kann es aber immer noch passieren, dass aufgrund von Unaufmerksamkeiten und Fehlern bzw. einer mangelnden Compliance unterschiedlichste strafrechtliche Vorwürfe aufkommen. Besonders häufig sind Strafverfahren wegen Provisionszahlungen, sog. Kickbacks oder Retrozessionen. Da steht dann der Vorwurf einer Untreue im Raum. Leicht kann auch der Vorwurf hinsichtlich einer Steuerhinterziehung entstehen. Die Fallgestaltungen sind da sehr unterschiedlich, auch je nachdem in welcher Branche ein Unternehmen tätig ist. Vorwürfe im Zusammenhang mit arbeitsrechtlichen Themen sind ebenso geläufig, etwa das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt oder die unerlaubte Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer. Klassisch sind auch Insolvenzstraftaten, insbesondere die Insolvenzverschleppung, Bankrott oder die Verletzung von Buchführungspflichten. Schließlich kommen auch Korruptionsfälle häufig vor.
In welchen Situationen haften Führungskräfte persönlich mit ihrem Privatvermögen für Verfehlungen des Unternehmens?
Die Verwirklichung von Straftatbeständen im Zusammenhang mit ihrer geschäftlichen Tätigkeit kann für Führungskräfte regelmäßig eine zivilrechtliche Haftung nach sich ziehen, so z. B. bei verspäteter Insolvenzanmeldung sowohl gegenüber der Masse als auch gegenüber den Gläubigern. Die Gesellschafter einer GmbH werden regelmäßig auf Grundlage einer Straftat anstreben, Schadensersatz beim Geschäftsführer zu nehmen. Im Fall von vorsätzlichen Straftaten sind auch leitende Angestellte erheblich betroffen.
Können Sie Beispiele aus Ihrer Praxis nennen, in denen Geschäftsführer aufgrund von Pflichtverletzungen strafrechtlich belangt wurden?
Besonders prägnant ist mir noch ein Fall in Erinnerung, bei dem ein leitender Angestellter eines DAX-Konzerns schlicht eine Rechnung eines IT-Unternehmens freigegeben hat. Es stellte sich später heraus, dass die Rechnung für Leistungen gestellt wurde, die nicht erbracht wurden. Er hatte die Rechnung im guten Glauben freigegeben, dass die Leistungen erbracht wurden und hatte auch keinen Anlass daran zu zweifeln. Gleichwohl musste er sich jahrelang gegen den Vorwurf der Untreue verteidigen. Das Verfahren wurde eingestellt.
In einem anderen Fall, war ein Solarunternehmen in die Insolvenz gegangen, da eine Container mit Solarmodulen nicht aus China ausgeliefert wurde. Man unterstellte dem Geschäftsführer, dass der Container doch ausgeliefert worden sei und er den “an den Büchern” vorbei verwertet habe. Das war schlicht und ergreifend eine irrige Annahme und er wurde mehr als 10 Jahre später freigesprochen.
Wie sollten Führungskräfte reagieren, wenn sie von strafrechtlichen Ermittlungen gegen ihr Unternehmen erfahren?
Im Fall von strafrechtlichen Ermittlungen sollten sich Führungskräfte sofort an einen auf das Wirtschaftsstrafrecht spezialisierten Verteidiger wenden und Akteneinsicht beantragen lassen. Gerade im Wirtschaftsstrafrecht bestehen noch im Ermittlungsverfahren umfassende Möglichkeiten zur Verteidigung. Mit Geschick kann häufig erreicht werden, dass es erst gar nicht zu einer Anklage kommt und das Strafverfahren eingestellt wird. Gerade Führungskräften möchte man schließlich einen zeitaufwändigen Gerichtsprozess ersparen.
Wie können Geschäftsführer durch effektive Compliance-Maßnahmen ihre persönliche Haftung minimieren und welche Maßnahmen empfehlen Sie?
Generell hilft eine gute Compliance, um potenzielle strafrechtliche Vorwürfe zu vermeiden. Besonders wichtig ist vor Allem die Awareness in einem Unternehmen, welche Handlungen strafrechtlich problematisch sein können. Die Fälle, in denen es zu Ermittlungsverfahren kommt, sind meist solche, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte strafrechtliche Risiken gar nicht erst gesehen haben. Vor allem, wenn ein Unternehmen besonders risikobehaftete Arbeitsabläufe hat oder Tätigkeiten ausführt, ist die Einführung eines strafrechtlichen Compliance-Management-Systems sinnvoll. Dies verhindert nicht nur Straftaten, sondern ist zugleich eine Schutz gegen Ordnungswidrigkeitenverfahren wegen Compliance.Verstößen und wirkt sich günstig aus im Hinblick auf die Haftung von Geschäftsführern und Vorständen. Daneben gibt es inzwischen zahlreiche Compliance-Anforderungen in unterschiedlichsten Zusammenhängen und ein Verstoß dagegen kann sowohl ein Ordnungswidrigkeitenverfahren für das Unternehmen mit empfindlichen Geldbußen als auch Strafverfahren für Führungskräfte nach sich ziehen.
Welche aktuellen Entwicklungen im Wirtschaftsstrafrecht sollten Führungskräfte besonders beachten?
Besonders aktuell für das Wirtschaftsstrafrecht sind die umfangreichen regulatorischen Anforderungen, die von den Unternehmen eingehalten werden müssen. Nach der Datenschutzgrundverordnung waren dies zuletzt das Hinweisgeberschutzgesetz sowie das Lieferkettengesetz. Am 01.08.2024 ist nun auch die KI-Verordnung in Kraft getreten. Am 17.01.2025 tritt die DORA-Verordnung in Kraft, die neue Anforderungen an Informations- und Kommunikationstechnik im Finanzsektor stellt. Seit Anfang 2023 ist bereits die CSR-Richtlinie in Kraft und harrt noch der Umsetzung in nationales Recht. Damit wird auch die Nachhaltigkeitsberichterstattung in Zukunft voraussichtlich ein wirtschaftsstrafrechtlich relevantes Thema.