Weshalb die Entscheidungsprozesse von früher heute versagen – und wie es besser geht

Wirtschaftsforum Expertin: Anne M. Schüller

Viele Führungskräfte alter Prägung sehen sich noch immer gern als Alleinentscheider. Früher war das auch allgemein üblich. Ist das Umfeld hingegen komplex, ist solches Vorgehen gefährlich. Zukunftsfähig ist ein Unternehmen heute nur dann, wenn zwischen Entscheidung und Umsetzung möglichst wenig Zeit vergeht. Neue Businesszeiten brauchen also auch eine neue Entscheidungskultur.

Im Führungsverständnis von heute geht es nicht länger darum, Entscheidungen vorzugeben, sondern darum,

  • gemeinsam getragene Entscheidungen herzustellen,
  • operative Entscheidungen in die Teams zu verlagern.

Bei Spotify, dem größten Musik-Streaming-Dienst der Welt, sieht man das so: Ein guter Mitarbeiter trifft in 70 Prozent aller Fälle dieselben Entscheidungen wie sein Chef. Zu zehn Prozent liegt er daneben. Und in 20 Prozent fällt er bessere Entscheidungen, weil er näher dran ist und von einer Sache oft mehr versteht. Wer das Ohr ständig am Markt hat, hat zudem ein gutes Gespür dafür, was das nächste große Ding werden könnte.

Natürlich gehören die großen strategischen Entscheidungen in Managementhände. Wenn es jedoch um operative Belange geht, kann ein Team darauf besser und vor allem auch schneller reagieren als ein Manager weit weg vom Schuss. Um beste Ergebnisse zu erzielen, sollte das Team die notwendigen Entscheidungen selbstbestimmt treffen. „Kompetenzen und Verantwortung zusammenführen“ nennt man dieses Prinzip.

Weshalb herkömmliche Entscheidungsprozedere nicht mehr funktionieren

Die fachlichen Kompetenzen liegen heute vor allem bei den Spezialisten im Team. Operative Entscheidungen „nach oben“ zu verlagern ist demnach so, als ob der Trainer die Elfmeter schießen müsste. Und genau das steht einem Erfolg dann im Weg. Denn:

  • In einer volatilen Wirtschaftswelt, in der sich ständig alles bewegt, sind viel mehr Entscheidungen zu treffen als früher. So kommt eine derartige Flut von Entscheidungsvorgängen auf die Manager zu, dass man sie selbst bei größtem Arbeitseinsatz nicht bewältigen kann. >>> Ergo: Alles dauert zu lange.
  • In einem komplexen Umfeld, in dem die Parameter ständig wechseln, sind Entscheidungen zu treffen, deren Tragweite man allein nicht mehr abschätzen kann. Zudem dauert eine adäquate Informationsbeschaffung immer länger. >>> Ergo: Es werden falsche Entscheidungen getroffen. Oder sie kommen zu spät.
  • Da, wo Entscheidungsstärke für eine Führungskraft maßgeblich ist, dürfen Entscheidungen, selbst wenn erforderlich, nicht ständig zurückgenommen oder überarbeitet werden, denn das würde als Schwäche gedeutet. >>> Ergo: Nicht mehr passende Entscheidungen werden zu viel lange aufrechterhalten.
  • Schlechte oder falsche Entscheidungen werden von den kundennahen Mitarbeitern als erstes bemerkt. Da es aber hierarchische Abhängigkeiten und Interessenskonflikte gibt (Gehalt, Beförderung, Urlaubsantrag), gelangen solche Hinweise nicht nach Oben. >>> Ergo: Falsches bleibt lange bestehen.
  • Neue Ideen, die der Markt dringend bräuchte (und die die Mitarbeiter ständig hätten), werden nicht nach oben getragen. Oder der Chef blockt sie ab, wobei er seine wahren Motive verschleiert. >>> Ergo: Innovationen finden nicht statt.
  • Neue Ideen werden gefiltert: Die Budgetsituation lässt sie nicht zu, sie sind „zu groß“, sie „passen nicht“, sie könnten das Wohlwohlen der Führungscrew kosten, sie sind politisch nicht durchsetzbar, sie scheitern an Abteilungsgrenzen. >>> Ergo: Es kommen die falschen Innovationen in den Markt.
  • In einer klassischen Abteilungsorganisation hat eine Führungskraft kaum Interesse daran, mehr als ihren eigenen Bereich zu optimieren. Denn sie hat bonifizierte Abteilungsziele, die eine Unterstützung anderer Bereiche unvorteilhaft machen. >>> Ergo: Man verfolgt Ego-Ziele statt dem, was gut für die gesamte Organisation wäre.
  • Entscheidungsstau führt zu immer mehr operativem Gehetze. So bleiben, im Tagesgeschäft gefangen, strategische Aufgaben schnell auf der Strecke. Zudem brauchen Entscheidungen derart lange, dass sie bereits überholt sind, wenn sie endlich getroffen werden. >>> Ergo: Die Firmenzukunft steht auf dem Spiel.

Es spricht also viel gegen Entscheidungen von oben in operativen Belangen. Und es gibt einen Ausweg aus diesem Dilemma: interdisziplinäre, sich selbst organisierende Teams. Dann werden die meisten Entscheidungen ganz genau dort getroffen, wo sie auch hingehören: Dort, wo die Fachleute sitzen, dort wo man ganz nah am Kunden ist, und dort, wo man beim kleinsten Hinweis auf Fehler sehr zügig nachsteuern kann.

Methoden, die das Entscheidungstempo maßgeblich erhöhen

Um Entscheidungen herbeizuführen gibt es viele Mittel und Wege. Zwei konventionelle sind der Mehrheitsentscheid und der Konsensentscheid. Beim Mehrheitsentscheid wird eine Entscheidung nach einem vorgegebenen Mehrheitsschlüssel getroffen. Bis zu 49 Prozent aller Stimmen werden dabei verlieren. Viel Unzufriedenheit kann so entstehen und die Tragfähigkeit einer Entscheidung wird leicht unterminiert.

Demgegenüber benötigt ein Konsensentscheid die ausdrückliche Zustimmung aller. Dem eilen oft lange und mühsame Diskussionen voraus. Schließlich einigt man sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Dies ist wohl der schlechteste aller Wege in diesen neuen herausfordernden Zeiten. Wie man also zu schnelleren Entscheidungen kommt und zugleich deren Qualität steigert? Etwa so:

1. Der konsultative Einzelentscheid

Dies ist eine exzellente Methode, vor allem in zunehmend selbstorganisierten Kontexten. Ziel ist es, die Expertise Dritter in seine Entscheidung miteinzubeziehen. So kann zum Beispiel bestimmt werden, dass, bevor eine Entscheidung getroffen wird, immer mindestens zwei sachkundige (!) Personen befragt werden müssen - und nicht etwa bequeme Kollegen.

Dabei kann es sich um Personen innerhalb oder außerhalb der Firma handeln. Die Verantwortung, wie am Ende entschieden wird, verbleibt allerdings bei der entscheidenden Person oder Gruppe. So umgeht man langwierige Abstimmungsrunden, verbessert die Entscheidungsgrundlage, erhöht die Handlungssicherheit und beschleunigt die Umsetzungsgeschwindigkeit.

2. Der Konsent-Entscheid

Mit dieser Methode können zähe Diskussionen oder wachsweiche Gruppenbeschlüsse vermieden werden. Nicht „Ja, ich stimme zu!“, sondern „Ich habe keinen schwerwiegenden, begründeten Einwand dagegen“, das ist ein Konsent-Entscheid. Es geht also nicht um ein Maximum an Zustimmung, sondern um eine Minimierung der Bedenken. Das heißt, man stützt sich auf Entscheidungen, die „gut genug“ sind, damit es zügig vorangeht.

Dazu fragt man in etwa so: „Sieht jemand einen wichtigen Grund, weshalb dieser Vorschlag Schaden anrichten könnte?“ Zieht nun jemand die Veto-Karte ernster Bedenken, dann setzt man den Vorschlag nicht um. Am besten regen Sie an, damit gleich mal zu experimentieren - und zwar im Konsent-Format: „Lasst uns das doch mal einen Monat lang ausprobieren. Wenn es nicht funktioniert, schaffen wir es wieder ab. Hat jemand einen gravierenden Einwand dagegen?“

3. Die Elfer-Skala:

Auch diese Methode sichert einen zügigen Entscheidungsprozess in einer Gruppe oder in Meetings und sorgt für gemeinsam getragene Entscheidungen. Die einzelnen Schritte: Zunächst wird das Thema vorgestellt, zu dem eine Entscheidung ansteht. Danach ist Zeit für Verständnisfragen. Hiernach wird den Teilnehmern eine erste Bewertungsfrage gestellt: „Auf einer Skala von 0 bis 10: Wie wichtig und dringlich ist dieses Thema für das Projekt/unser Unternehmen?“

Jeder entscheidet verdeckt. Danach werden stellvertretend je zwei Meinungen aus dem niedrigen (0 bis 4) und dem hohen Bewertungsbereich (6 bis 10) gehört. Darauf folgt eine Minute der stillen Besinnung. Hiernach gibt es eine zweite verdeckte Bewertung: die gleiche Frage auf einer neuen Skala. Liegen alle Bewertungen zwischen sieben und zehn, ist das Thema angenommen. Liegt eine darunter, kann die Konsent-Frage helfen.

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