„Google hat gute Produkte, weil es gut führt“

Interview mit Prof. Dr. Florian Becker

Wirtschaftsforum: Schlechte Führung kann unbezahlbare Schäden anrichten, schreiben Sie in Ihrem gerade erschienenen Buch „Psychologie der Mitarbeiterführung“. Welche Belege gibt es hierfür?

Prof. Dr. Florian Becker: Schlechte Führung lässt sich beispielsweise an Fehlzeiten, Krankenstand und Fluktuation der Mitarbeiter ablesen.

Wirtschaftsforum: Wie hängt dies zusammen?

Prof. Dr. Florian Becker: Ändert sich die Führungskraft in einer Abteilung, ändert sich auch der Krankenstand und die Fluktuation von Mitarbeitern. Wechseln Führungskräfte ihren Bereich, geht der Krankenstand und die Fluktuation oftmals mit in den neuen Bereich.

Wirtschaftsforum: Wodurch wird das Verhalten von Mitarbeitern noch beeinflusst?

Prof. Dr. Florian Becker: Die Zufriedenheit eines Mitarbeiters nimmt im Durchschnitt ab, je größer die räumliche Nähe zur Führungskraft ist. Das spricht zumindest im Mittelwert nicht unbedingt für gute Führung. Menschen mit Führungsverantwortung neigen zudem dazu, intensive Beziehungen zu bestimmten Mitarbeitern – sogenannten „Ingroups“ – aufzubauen, während sie zu den anderen Mitarbeitern nur sehr formelle Beziehungen unterhalten. Je größer diese zweite Gruppe ist, desto problematischer. Denn deren „Mitglieder“ haben häufig eine geringere Produktivität, sind häufiger krank, verlassen häufiger das Unternehmen. Die Art und Weise, wie sich Führungspersonen verhalten, kann also negative Auswirkungen haben. Und die kosten letztendlich Geld.

Wirtschaftsforum: Welches ist der häufigste Fehler, den Unternehmen in punkto Mitarbeiterführung begehen?

Prof. Dr. Florian Becker: Führungskräfte setzen teilweise völlig unkritisch Menschenbilder ein, ohne wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen. Auf dieser Basis treffen sie dann konsequent suboptimale Entscheidungen.

Wirtschaftsforum: Welche Menschenbilder sind denn zu pauschal und zu unkritisch?

Prof. Dr. Florian Becker: Vielen englischsprachigen Lesern ist der Management-Guru Jack Welch ein Begriff. Er war rund 20 Jahre lang CEO von General Electric und ist bekannt für sein „20-70-10“-Prinzip. Für jeden seiner mehreren 100.000 Mitarbeiter bei General Electric hat er Leistung definieren und messen lassen. Mit der Folge, dass 20 Prozent der Mitarbeiter mit der besten Leistung einen finanziellen Bonus erhielten, 70 Prozent der Belegschaft sich daran orientieren sollten und die übrigen zehn Prozent entlassen wurden. Das Menschenbild von Welch besagt also: Ich kann mich nicht darauf verlassen, dass der Mitarbeiter von sich aus macht, was er tun soll. Er ist in der überwiegenden Mehrheit naturgemäß eher faul. Ich muss ihn durch äußerere Anreize in Form von finanzieller Belohnung und Bestrafung (Entlassung) von außen bewegen und motivieren, damit er das gewünschte Verhalten zeigt.

Wirtschaftsforum: Was ist daran falsch?

Prof. Dr. Florian Becker: Es ist in der Generalität falsch. Gleiches gilt übrigens auch für das andere Extrem: Wenn Führungskräfte nämlich ihren Mitarbeitern großes Vertrauen schenken und zugleich davon überzeugt sind, die Arbeit an sich sei motivierend genug. Mit beiden Menschenbildern tut man wahrscheinlich zahlreichen Menschen Unrecht. Der kontrollierende Stil von Jack Welch funktioniert zwar teilweise, nämlich dann, wenn es sich um eine eintönige Tätigkeit handelt. Bei einem Arbeiter, der in einer Textilfabrik Kleidungsteile zusammennäht, trifft das zu. Doch mit derart harter Hand Ingenieure zu führen? Nein, das ist eher ein Armutszeugnis. Leider herrscht dieses Menschenbild noch in sehr vielen Unternehmen vor.

Wirtschaftsforum: Welcher allgemeine Führungsstil spiegelt sich hier wider?

Prof. Dr. Florian Becker: Der transaktionale Führungsstil, Geld gegen Leistung. Der Mitarbeiter erfährt, was er zu tun hat, Zielvereinbarungen werden getroffen und kontrolliert. Dafür erhält der Mitarbeiter sein Gehalt – und vielleicht noch einen variablen Anteil obendrauf. Geld allein ist aber nur begrenzt geeignet, jemanden zu motivieren. Viel wirksamere Instrumente sind Gestaltungsmöglichkeiten bei der Arbeit sowie Anerkennung.

Wirtschaftsforum: Wer ist denn hierbei Vorreiter?

Prof. Dr. Florian Becker: Schauen Sie sich einmal Google oder Apple an. Diese Unternehmen sagen nicht: „Kommt zu uns, hier verdient ihr am meisten.“ Vielmehr sind sie gut darin, ihre Mitarbeiter zu ideologisieren, ihnen das Gefühl zu geben, sie seien Teil des besten Unternehmens der Welt, das ständig neue „Revolutionen“ hervorbringt wie Apple. Auch wenn das Unternehmen vielleicht tatsächlich gar nicht so innovativ ist und eher bereits vorhandene Ideen von anderen erfolgreich vermarkten kann.

Wirtschaftsforum: Wobei wir beim Thema digitale Transformation wären, das enorme Herausforderungen für Führungskräfte mit sich bringt. Was würden Sie einem Unternehmenslenker aus Sicht eines Beraters für Führungsfragen empfehlen, als erstes zu tun soll, damit er keinen Schiffbruch erleidet?

Prof. Dr. Florian Becker: Wenn sich wegen der digitalen Transformation die Arbeitsprozesse im Unternehmen ändern, ist das ein klassisches Change-Management-Problem. Es gilt, Mitarbeiter für Veränderungen zu begeistern – das ist auch je nach Kultur unterschiedlich herausfordernd. Dabei reicht es nicht, sie nur zu informieren. Sie müssen mitgenommen und begleitet werden. Und weil die digitale Welt viel mit Vernetzung zu tun hat und globale Teams virtuell zusammenarbeiten, besteht die Herausforderung auch darin, Leute zu motivieren, in Teams zusammenzuführen und zu binden, die physisch nicht anwesend sind.

Wirtschaftsforum: Digitale Transformation hat viel mit Lernen zu tun. Was würden Sie hierbei raten? Denn es gibt ja Menschen, die lernen gerne, andere aber nicht.

Prof. Dr. Florian Becker: Es herrscht ein weit verbreiteter Irrglaube: Jemand weiß etwas, und dann verändert er automatisch sein Verhalten. Dass das nicht funktioniert, sehen wir schon im Alltag gut, etwa im Bereich Ernährung. Was weiß man nicht alles über gute Ernährung, aber das eigene Essverhalten spricht oft – wider besseres Wissen – eine andere Sprache. So verhält es sich auch bei Führungsfragen. Ich plädiere dafür, von der reinen Wissensvermittlung wegzukommen, wenn Veränderungen am Arbeitsplatz anstehen. Neues Verhalten aufzubauen, erfordert Zeit. Wenn es nicht stabilisiert wird, fallen Mitarbeiter gerne zurück in alte Muster. Wir haben gute Erfahrung gemacht sogar für eine Weile jemanden begleitend daneben zu stellen. Nicht als Oberlehrer aber als freundlicher Vormacher und Ideengeber. Der Zusammenhang von Wissen und Verhalten ist eben wesentlich geringer, als von der Laienpsychologie angenommen.

Wirtschaftsforum: Digitale Transformation geschieht häufig unter großem Zeitdruck. Menschen Zeit zu geben und sie zu begleiten, könnte das Unternehmen gefährden.

Prof. Dr. Florian Becker: Ich gebe Ihnen recht, das Thema Tempo ist wichtig geworden. Nur, wenn eine Veränderung nicht erfolgreich ist, kommt es natürlich schlimmer, als wenn alles beim Alten geblieben wäre. Also, ein Unternehmer sollte sich schon die Zeit nehmen, die es braucht, damit alles ordentlich läuft. Unabhängig davon ist es auch eine Führungsaufgabe für Veränderung zu begeistern, klare Visionen zu entwickeln und vor allem eine veränderungsfreudige Unternehmenskultur aufzubauen.

Wirtschaftsforum: In Ihrem Buch sprechen Sie von Führungsfehlern. Sie sagen, Führungskräfte scheitern häufig an oberflächlichen Zielen. Können Sie das näher erläutern?

Prof. Dr. Florian Becker: Wenn wir auf die Wirtschaft schauen, sehen wir eine Welt aus Produktivität, Absatzzahlen, Aktienkursen und Bruttoinlandsprodukt. Unternehmen und Manager sehen oft nur noch Kennzahlen und beschäftigen sich dagegen zu wenig mit der Tatsache, dass hinter den Zahlen Entscheidungen von Menschen „aus Fleisch und Blut“ stehen. Besonders erfolgreiche Unternehmen wie Google haben das verstanden, beispielsweise im Bereich Innovation. Google ist auch deshalb so erfolgreich, weil Führungskräfte den jungen Entwicklern sagen: „Du kannst 20 Prozent der Arbeitszeit machen was du willst, du kannst dich bei uns selbst verwirklichen, hast Spaß mit uns, lebst in einer bunten Welt.“

Wirtschaftsforum: Das klingt nicht nach einem besonders tiefgehenden Ziel.

Prof. Dr. Florian Becker: Doch. Wo können sie das? Häufig sind Mitarbeiter sehr fremdbestimmt. Viele Menschen wollen sich aber selbst verwirklichen. Da Google die Besten braucht, ob Informatiker oder Mathematiker, kommt es ihnen entgegen. 20 Prozent der Arbeitszeit für Selbstverwirklichung einzuräumen, ist ein wichtiges Instrument für erfolgreiche Innovation und Mitarbeiterbindung. Und Google hat, wenn die Idee gut ist, keine Hemmungen, viel Geld in ein Projekt zu stecken. So erhalten junge Beschäftigte ein Umfeld, in dem sie etwas bewegen können. Das ist ihnen vielleicht wichtiger, als selbst mehr Geld zu erhalten. Diese Einstellung ist genau das, was Google aus betriebswirtschaftlicher Sicht erreichen möchte.

Wirtschaftsforum: Google hat gute Produkte. Was aber nützt einem die beste Führung oder der größtmögliche Spielraum für Mitarbeiter, wenn die Produkte nicht gut sind?

Prof. Dr. Florian Becker: Google hat gute Produkte, weil es gut führt. Ein Großteil der Produkte und Innovation stammen eben aus diesen 20 Prozent Freiraum während der Arbeitszeit. Beides hat miteinander zu tun, denn die Produkte fallen ja nicht vom Himmel.

Wirtschaftsforum: Hat diese Großzügigkeit auch ihre Tücken?

Prof. Dr. Florian Becker: Die Grenze zur Manipulation ist nicht weit. Manche Unternehmen geben Freiraum, begeistern und ideologisieren, der Mitarbeiter fühlt sich als Teil einer Familie und will vielleicht gar nicht mehr nach Hause gehen. Er vernachlässigt dann mitunter seine persönliche Entwicklung außerhalb der Arbeit, etwa Freundeskreis oder Familiengründung. Die in den Medien diskutierten Angebote für weibliche Führungskräfte – Eizellen einzufrieren – kommen genau aus derartigen Problemsituationen. Hier muss die Frage gestellt werden: Ist das ethisch noch vertretbar?

Wirtschaftsforum: Woran kann ein Unternehmer eigentlich erkennen, dass jemand eine gute Führungskraft ist?

Prof. Dr. Florian Becker: Eine gute Führungskraft ist in der Lage, in den unterschiedlichsten Kontexten zu führen – auch in anderen Kulturkreisen. In China dominiert ein eher autoritärer Führungsstil, in Deutschland hingegen haben die Mitarbeiter mehr Mitbestimmung. Während das zwischenmenschliche Verhältnis in Deutschland sehr sachlich ist – „Schnaps ist Schnaps und Dienst ist Dienst“ – kennt die Führungskraft in China die familiären Verhältnisse der Mitarbeiter. Sich auf solche unterschiedliche Bedingungen einstellen zu können, gehört heute zu den wichtigsten Führungseigenschaften.

Wirtschaftsforum: Was muss ich selbst tun, um eine gute Führungskraft zu werden?

Prof. Dr. Florian Becker: Nicht wenige denken ja kaum darüber nach, nur an das Tagesgeschäft. Das wichtigste ist, dass sie es überhaupt wollen und sensibilisiert dafür sind. Stellen Sie sich für Ihre Entwicklung permanent Fragen. Was sind meine Ziele? Welche Führungsinstrumente nutze ich? Dem einen fällt es leicht, zu loben, dem anderen liegt es besser, Fragen zu stellen. Am besten, Sie bauen sich einen eigenen Werkzeugkasten, aus den Instrumenten, die sie wirklich gut beherrschen. Nehmen Sie sich für jede Woche eine Aufgabe vor: „Diese Woche möchte ich üben zuzuhören.“ Sie werden dann durch diese Achtsamkeit automatisch besser – fast von allein. In meinem Buch ziele ich sehr stark darauf diese Achtsamkeit beim Leser zu fördern.

 

Über Florian Becker:

Prof. Dr. Florian Becker ist Spezialist für Wirtschaftspsychologie. Bekannt ist er auch als einer der gefragtesten Wirtschaftspsychologen aus zahlreichen Fernsehbeiträgen und Interviews in Radio und Zeitungen. Er leitete mehrere Jahre das Marktpsychologische Labor der Universität München. An der International School of Management (ISM) leitete er den Fachbereich Psychology & Management. An der Hochschule Rosenheim leitete er den MBA-Studiengang Management und Führungskompetenz (MBA). Als Berater und Trainer hat er langjährige Praxiserfahrung mit Kunden aller Größenordnungen und verschiedenster Branchen.

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