Mehr als nur die Tafel im Klassenzimmer ersetzen
Interview mit Christian Schwaiger, Geschäftsführer der SMART Technologies (Germany) GmbH
Wirtschaftsforum: Obwohl das Geschäftsfeld der Digitalisierung des Bildungswesens noch recht jung ist, tritt SMART Technologies schon seit über 30 Jahren im Markt auf. Das klingt nach technologischer Pionierarbeit.
Christian Schwaiger: Ich bin erst viele Jahre später in das Unternehmen eingetreten und habe die Gründerzeit deshalb nicht miterleben können. Aber ja, was SMART Technologies 1987 in unserem Heimatmarkt Kanada aus der Taufe hob, war eine völlig neue Technologie, für die man zunächst einmal einen konkreten Anwendungsbereich suchen musste, weil man gar nicht so recht wusste, für welchen spezifischen Zweck man sie am besten einsetzen könnte. Im weiteren Verlauf hat sich dann jedoch schnell herauskristallisiert, dass sich diese neu entwickelten Lösungen wohl am besten in Meeting-Räumen von Unternehmen sowie im Bildungsbereich nutzen ließen. Beide Segmente stellen (nach zahlreichen technischen Weiterentwicklungen) auch heute noch unsere Hauptmärkte dar.
Wirtschaftsforum: Damals war der Schulalltag noch von Tafeln, Kreide und bestenfalls Tageslichtprojektoren geprägt, nicht von iPads und Cloud-Lösungen. Aber auch das war doch hochwertige Bildung. Wozu braucht es da die technologischen Innovationen von SMART Technologies?
Christian Schwaiger: Unsere Lösungen sind viel mehr als die Digitalisierung der Tafel oder des Schulhefts. Es geht uns nicht darum, alte Gegenstände durch ihre elektronischen Pendants zu ersetzen – das wäre viel zu kurz gedacht. Stattdessen schaffen wir mit den digitalen Lösungen, die uns heute zur Verfügung stehen, neue pädagogische Möglichkeiten, wir geben den Lehrerinnen und Lehrern bei der Vermittlung von Unterrichtsinhalten neue Werkzeuge an die Hand und eröffnen den Schülerinnen und Schülern alle nötigen Freiräume, um sich beim Erwerb der wesentlichen Kernkompetenzen für die Gesellschaft im 21. Jahrhundert – Kreativität, Kommunikation, Kollaboration und kritisches Denken – so individuell wie möglich entfalten zu können.
Wirtschaftsforum: Welche neuen pädagogischen Konzepte werden mit Ihrer Technologie perspektivisch möglich werden?
Christian Schwaiger: Angesichts der heutigen technischen Ausstattung der Schulen ist vieles noch Zukunftsmusik. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass der künstlichen Intelligenz im Bildungswesen auf längere Sicht eine große Bedeutung zukommen wird, wodurch es möglich würde, die Unterrichtsinhalte ganz auf die Bedürfnisse des individuellen Lernenden hin abzustimmen. Das wäre wirklich eine kleine Revolution in einem Bildungsumfeld, in dem eine Lehrkraft heute 30 Schülerinnen und Schülern denselben Stoff im selben Tempo mit denselben Methoden vermitteln muss. Gleichzeitig würde dies eine neue Rolle für Lehrerinnen und Lehrer bedeuten, die sich dann nicht mehr so stark auf fachliche Aspekte fokussieren müssten, sondern sich ganz auf ihre pädagogische Expertise konzentrieren könnten – also genau darauf, wozu sie eigentlich da sind: Lernprozesse zu ermöglichen, anstatt bloßes Wissen zu vermitteln.
Wirtschaftsforum: Würde das nicht einen grundlegenden Paradigmenwechsel bei der digitalen Ausstattung von Schulen voraussetzen? Spätestens die Corona-pandemie hat hier doch deutliche Defizite aufgezeigt.
Christian Schwaiger: Diese Defizite sind ohne Zweifel real und die konsequente Digitalisierung des Schulalltags wird in Deutschland auch noch ein langwieriger Prozess sein – andere Länder, auch im europäischen Ausland, sind hier zugegebenermaßen bereits deutlich weiter. Ich kann jedoch durchaus erkennen, dass wir derzeit einige Schritte in die richtige Richtung gehen, gerade auch beim oft bemühten Thema Datenschutz. Bisher sind wir hierbei mit der allgemeinen Problematik konfrontiert, dass viele Richtlinien zur Datensicherheit, die auf EU-Ebene bestehen, auf das deutsche Bildungswesen nicht anwendbar sind, weil dort andere – nicht zwingend bessere – Datenschutzkriterien herangezogen werden. Wir fordern schon lange eine Art Zertifizierungsverfahren an staatlichen Stellen, nach dessen erfolgreichem Abschluss die entsprechende Lösung bedenkenlos an den jeweiligen Schulen eingesetzt werden könnte. Ich habe die Hoffnung, dass ein kürzlich von der Bundesministerin für Bildung und Forschung vorgestelltes Projekt perspektivisch genau dieses zentrale Problem lösen könnte. Viele Weichen in die richtige Richtung werden also bereits gestellt – doch die erforderliche digitale Infrastruktur lässt sich eben nicht über Nacht aufbauen. Manche Hemmschuhe treten dabei schon auf einer vergleichsweise banalen Ebene auf: etwa bei der nicht selten schlechten Anbindung der Schulen an das Internet mit unzureichenden Bandbreiten, die eine effektive Nutzung von Cloud-Services manchmal unmöglich machen.
Wirtschaftsforum: Welchen Rahmenbedingungen begegnen Sie, wenn Sie im Markt als Digitalisierungspartner für das Bildungswesen auftreten?
Christian Schwaiger: Tatsächlich gibt es im Hinblick auf die Digitalisierung an Schulen in Deutschland immer noch gewisse Vorbehalte. Doch ich habe zunehmend das Gefühl – auch wenn ich diese Beobachtung nicht mit konkreten Daten untermauern kann –, dass diese Bedenken nicht zuletzt im Zuge der Coronakrise spürbar abgenommen haben. Lehrerinnen und Lehrer, die Führungskräfte aus der Schulleitung und auch die politischen Entscheidungsträger auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene haben mittlerweile deutlich erkannt, welche Vorteile die digitalen Lösungen für den Schulalltag mit sich bringen – und dass wir eben nicht nur antreten, um die Kreidetafel durch ein pfiffiges interaktives Display zu ersetzen.