„Marketing war bislang keine Paradedisziplin des Mittelstandes“
Interview mit Stefan Hentschel und Klaas Flechsig, Google Deutschland
Wirtschaftsforum: Herr Hentschel und Herr Flechsig, im Jahr 2014 haben Sie Ihre Initiative „Weltweit wachsen“ gestartet, die sich speziell an den deutschen Mittelstand richtet. Auch vor der eindrucksvollen Zuhörerschaft der großen Weltmarktführer in Deutschland haben Sie bereits dafür geworben. Worum geht es bei Ihrer Initiative?
Stefan Hentschel: Mit unserer Initiative „Weltweit wachsen“ richten wir uns erstens an sehr stark exportorientierte Unternehmen, die den digitalen Vertriebsweg bereits zusätzlich zum klassischen Vertriebsweg nutzen. Die das Medium „digital“ bereits als Chance für sich begreifen, um weiter zu expandieren und ihr Geschäft auszuweiten. Zweitens sprechen wir viele kleine mittelständische Betriebe an, die gerade erst anfangen, ihr Exportgeschäft aufzubauen.
Wirtschaftsforum: Wie bringen Sie denn interessierten Mittelständlern den digitalen Vertriebsweg nahe?
Stefann Hentschel: Wir sprechen mit Führungskräften und Unternehmensinhabern über die Potenziale ihrer Firmen im Ausland. Nehmen wir als Beispiel einen großen Anbieter von Wägesystemen in der Schweiz, der begonnen hat, den klassischen Vertrieb mit dem digitalen Vertriebsweg zu „befruchten“. Die Unternehmensführung hat sich gefragt, welches Potenzial sie mit ihren Produkten in einem Land wie Mexiko hat. Auf den digitalen Vertriebsweg bezogen, kam dann die Frage auf: Mit welchen Begriffen und Keywords sucht eigentlich eine potenzielle Zielgruppe in Mexiko nach unseren Produkten?“ Nachdem das Potenzial digital ermittelt worden war, kam die klassische Sales Force ins Spiel. Für Unternehmen, die solche zusätzlichen Potenziale generieren, bieten wir sehr viel Knowhow, was die digitalen Tools anbelangt.
Wirtschaftsforum: Wie die Plattform „Weltweit wachsen“.
Klaas Flechsig: Genau. Auf www.weltweitwachsen.de gibt es eine Suchmaske, in der die Produkte eingegeben werden können. Anschließend wird das Potenzial für wichtige Exportmärkte ermittelt.
Wirtschaftsforum: Ist diese Initiative mit Kosten verbunden?
Stefan Hentschel: Nein, diese Plattform ist kostenlos. Damit sollen Unternehmen erst einmal für das Thema „Digital“ sensibilisiert werden. Meine Erfahrung zeigt: Viele von ihnen haben noch gar nicht ihre Potenziale in der digitalen Welt ausgelotet.
Wirtschaftsforum: Ein Unternehmer gibt also sein Produkt ein – welchen unmittelbaren Erfolg hat er dann?
Stefan Hentschel: Der Holzbildhauer Gerd Schmieder und seinen Schwarzwalduhren ist ein schönes Beispiel hierfür: Ein kleiner Mittelständler findet in Deutschland einen gesättigten Markt vor. Er fragt sich, wie er seine Uhren weltweit vertreiben kann. Nach Eingabe des Begriffs „Kuckucksuhren“ ermittelt er über unsere Plattform ein Exportmarkt-Potenzial für Singapur. Damit ist es ihm gelungen, nicht nur eine Kampagne in Singapur zu entwickeln, sondern auch Geschäftskontakte anzubahnen – etwa für neue Importeure, die seine Kuckucksuhren importieren und an andere Kunden weiterverkaufen.
Wirtschaftsforum: Welchen Nutzen hat Google von der Plattform „Weltweit wachsen“?
Stefan Hentschel: In erster Linie wollen wir das Thema „Wissensaufbau“ bei den mittelständischen Unternehmen vorantreiben.
Klaas Flechsig: Was den Nutzen für Google anbelangt, so ist es ein mittelbarer. Wir haben die Hoffnung, dass Betriebe erkennen, welches große Potenzial ihnen das Internet aufzeigt, um ihren Geschäftserfolg zu vergrößern. Und wenn mehr Unternehmen in Online-Marketing investieren, hoffen wir, dass sie mittelfristig auch mehr in Google investieren werden – und in Werbung über unseren digitalen Kanal.
Wirtschaftsforum: Glauben Sie denn, dass der Mittelstand jetzt schon über die Fähigkeiten verfügt, die Erwartungen, die Sie formulieren, zu erfüllen? Denn die Herausforderungen sind ja enorm, angefangen von der Technik bis zu den Tools von Google, die beherrscht werden müssen. Und die Ängste, die beim Mittelständler vorhanden sind, vielleicht von den digitalen Tools beherrscht zu werden.
Klaas Flechsig: Nun, das Internet ist ein Medium, welches für potenzielle Konsumenten immer wichtiger wird. Um ihre Kunden weiterhin zu erreichen, müssen sich Unternehmen mit dem Internet auseinandersetzen. Sie können es nicht ignorieren – ganz unabhängig davon, ob sie ihre Werbung über Google oder über andere Unternehmen abwickeln möchten. Es gibt noch zu viele Unternehmen im deutschen Mittelstand, die diese Botschaft nicht gut genug verstanden haben.
Stefan Hentschel: Der Mittelstand hat natürlich einen besonderen historischen Hintergrund. Insbesondere in der verarbeitenden Industrie stand jahrzehntelang das Produkt im Fokus. Marketing ist dagegen bislang nicht eine der Paradedisziplinen der mittelständischen Unternehmen gewesen. Da jetzt aber Weiterverkäufer von Produkten und Dienstleistungen das Internet sehr stark nutzen und sich dort ein direkter Abverkauf messen lässt, gibt es inzwischen Mittelständler, die sich mit dem Thema beschäftigen. Hinzu kommt, dass der Kundenkreis von unseren Mittelstandskunden immer jünger wird, sich im Internet informiert und letztlich auch die Kaufanbahnung über das Internet fordert. Jedes Unternehmen ist daher gut beraten, sich auf die veränderten Kundenbedürfnisse einzustellen. Das haben wir erkannt und deshalb unsere Initiative „Weltweit wachsen“ ins Leben gerufen.
Wirtschaftsforum: Könnte ein Mittelständler auch überlegen und sagen: „Ich nutze Google gar nicht“.
Klaas Flechsig: Natürlich, das machen viele.
Stefan Hentschel: Aber jedes Unternehmen muss doch zunächst einmal für sich definieren: Welche Relevanz hat das Internet für mich? Für einige ist die Bedeutung schon heute sehr groß, für andere wird das Thema erst in ein paar Jahren wichtig werden. Das finde ich in Ordnung.
Wirtschaftsforum: Kommen wir grundsätzlich zu der Frage der Wachstumschancen im digitalen Zeitalter. Können Sie uns einen kurzen Überblick geben?
Stefan Hentschel: Die Chance besteht darin, neue Zielgruppen anzusprechen, oder Produkte über Vertriebswege zu erreichen, die zuvor nicht im Fokus waren. Dazu zähle ich auch Mobiltelefone. Im Mittleren Osten gibt es eine hohe Penetration an Smartphones – dort ist Geschäftsanbahnung sehr stark über Smartphones üblich. Für einen Unternehmer ist es spannend herauszufinden, ob er diese Zielgruppe erreichen kann, die bislang nicht im Fokus gestanden hat – einfach weil die Werbung gar nicht auf das Smartphone ausgerichtet war.
Wirtschaftsforum: Welche weiteren Vertriebs- und Absatzkanäle gibt es noch?
Stefan Hentschel: Es gibt die Möglichkeit, über klassisches Display Advertising Kunden zu erreichen. Videos sind eine weiterer Weg. Wir sehen, dass im Bereich Business-to-Business, wenn es um erklärungsbedürftige Produkte geht, das Medium Video eingesetzt wird. Denn viele Unternehmen wollen sich über ein komplexes Produkt lieber über ein Bewegtbild informieren, anstatt eine lange Gebrauchsanweisung durchzulesen. Das sind alles Tendenzen, die wir zurzeit am Markt sehen.
Wirtschaftsforum: Wie ändert denn die Kundenbeziehung zwischen den Betrieben? Denn es ist ein Unterschied, ob ein Reisebüro für seinen Kunden persönlich Reisen zusammenstellt oder ob es seine Kunden im Internet in standardisierte Prozesse presst.
Klaas Flechsig: Gerade im Reisebereich ist es so, dass klassische Reisebüros nicht einfach verschwinden, nur weil es das Internet gibt. Denn Kunden wollen eine persönliche Beratung haben. Es gibt also eine Migration oder Recherche in mehreren Kanälen. Und oft beginnt eine Recherche darüber, wo ich meinen nächsten Urlaub verbringe, im Internet. Dort erfolgt aber nicht zwangsläufig die Buchung. Vielmehr wird der Reisebürokunde aufmerksam darauf, dass es ein Reisebüro in seiner Nähe gibt, welches eine Kompetenz für ein bestimmtes Land hat. Ich vereinbare dort einen Termin und buche dann die eigentliche Reise im Reisebüro. Aber der ganze Prozess hat über viele Kanäle stattgefunden – und im Internet begonnen.
Stefan Hentschel: Wenn ich das auf den Mittelstand übertragen darf: Ein Hersteller von Gummidichtungen fährt zum Kunden, um Gummidichtungen zu verkaufen. Das Unternehmen kann aber darüber nachdenken, seine Vertriebsmannschaft besser aufstellen und zu sagen: „Ein Produkt wie Gummidichtungen skaliere ich jetzt über das Internet, und lasse den Vertrieb eher über komplexe Komplettlösungen im Bereich Maschinenbau diskutieren, weil dort ein stärkerer Beratungsfokus vorhanden ist.“ Es ist also eine Riesenchance, auch sehr einfach skalierbare Produkte über das digitale Medium zu vertreiben, und sich als Vertrieb auf komplexere Lösungen zu konzentrieren.
Wirtschaftsforum: Kommen wir zum Schluss auf das Thema Datensicherheit zu sprechen. Schließlich haben viele Unternehmen auf den NSA-Skandal mit Angst und Skepsis reagiert, was die Sicherheit ihrer Daten anbelangt. Welche Botschaft haben Sie für solche Unternehmen?
Klaas Flechsig: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es natürlich niemals. Aber, ich glaube, es gibt kein anderes Unternehmen, was so viel Wert auf die Sicherheit von Daten legt wie Google. Wir haben einige der besten Software-Ingenieure der Welt bei uns im Unternehmen, die nichts anderes tun als sich um die Sicherheit von Informationen, die auf unseren Servern liegen, zu kümmern. Dementsprechend sind Unternehmensdaten, wenn sie auf Google-Servern liegen, zumindest sicherer als irgendwo sonst.
Über Stefan Hentschel:
Stefan Hentschel verantwortet als Industry Leader Technology die Kundenbetreuung von B2B-Unternehmen bei Google Deutschland. Zuvor war er als Industry Head Finance für den Finanzbereich und später als Head Mobile Advertising für die Vermarktung mobiler Google Lösungen zuständig. Vor seiner Zeit bei Google war Stefan Hentschel im Key Account Management bei United Internet Media Deutschland und im Business Development bei AOL Deutschland. Bevor der studierte Diplom-Kaufmann die Projekt- und Vermarktungsleitung des Business Channel bei Gruner + Jahr EMS übernahm, absolvierte er ein Traineeprogramm im Verlagshaus Gruner + Jahr.
Über Klaas Flechsig:
Klaas Flechsig studierte Amerikanistik, Germanistik und Politik in Hamburg. Nach Stationen bei Werbeagenturen und Kommunikationsdienstleistern wechselte er 2006 zu Google und war zunächst für die Betreuung von Werbekunden aus den Bereichen Media und Entertainment verantwortlich